Alugia: Eintopf mit Rosinen und Mandeln

Als zweites Rezept im frühneuhochdeutschen Púch von den chósten findet sich ein süß-saures Eintopfgericht mit Rosinen und Mandeln, das den Namen Alugia trägt. Da die lateinische Vorstufe, auf der die deutsche Übersetzung im Münchner Codex Cgm 415 aus dem 15. Jahrhundert beruht, nur als Fragment überliefert ist, das erst mit dem 30. Rezept einsetzt und sich auch in der zur Verfügung stehenden Übersetzung des arabischen Medizinbuches aus dem die Kochrezepte ursprünglich stammen, dem sogenannten Minhadj al-bayan aus dem 11. Jahrundert, kein Eintrag identifizieren lässt, auf dem Alugia beruhen könnte, konnten wir uns bei der küchentechnischen Umsetzung im Rahmen unseres Sparkling Science Schulforschungsprojektes, wie schon beim Rezept zu Ase, ausschließlich auf den frühneuhochdeutschen Rezepttext stützen.

Das mittelalterliche Rezept mit Übersetzung:

Alugia wirt also: sneid flaisch zu chlainen stukchen und leg daz in ain héfen und missch daz in etwevil óls sisamini, daz ist von den olpern, die do unczeittig sein, darnach tu darczu ain wenig coriander und cynemirintten und der czwival weizz und meng daz und rúer es, uncz daz es geróst wirt. darnach so tu ain wenig wassers mit ezzig gemisscht darczu und in die mitt der chochung wirff ain hantvoll geprochner pitscholen und zu suezzmachen tú ain wenig czukchers oder hónigs und varb daz mit ain wenig saffran, und an dem end der kochung schol man darauf stréwen oder werffen etwevil awzzgeschélhter weinper, die do haizzent uva passa, daz ist krichweinper. darnach wirff darauf ain wenig geribner und czetribner mandel mit rosenwasser czetriben, und daz ezzen ist czymmleich und gleich gut und gepirt gút narung und ist gut den, die do ain geleich conplecconem habent, und sneit ab die gleichung der fewchtichait und schatt dem ingewaid, und seinen schaden wennt man mit gemachten mandeln.

Alugia wird folgendermaßen <zubereitet>: Schneide Fleisch in kleine Stücke und lege diese in einen Topf und vermische das mit etwas Sesamöl, das wird aus Oliven <hergestellt>, die noch nicht reif sind, danach gib ein wenig Koriander und Zimt und das Weiße von Zwiebeln dazu und vermenge das und rühre es, bis es geröstet ist. Füge anschließend ein wenig Wasser, mit Essig vermischt, hinzu und nach der Hälfte der Garzeit wirf eine Handvoll auseinandergebrochene Kichererbsen hinein und zum Süßen füge ein wenig Zucker oder Honig hinzu und färbe es mit ein wenig Safran, und am Ende der Garzeit soll man ein paar entkernte Weintrauben darüber streuen bzw. hineinwerfen, diese heißen uva passa, das sind Rosinen. Dann wirf ein paar zerstoßene und mit Rosenwasser verriebene Mandeln darüber. Die Speise ist bekömmlich und sehr ausgewogen, nahrhaft und gut für jene, die ein ausgeglichenes Temperament haben, und stört das Gleichgewicht der Feuchtigkeit und schadet den Eingeweiden, und ihre Schädlichkeit wendet man ab mit der Mandelzubereitung.

Das Rezept beginnt mit der Kochanleitung, und zwar mit der Hauptzutat des Gerichts: Fleisch. Im Púch von den chósten wird die auch heute noch geltende Differenzierung zwischen ‚rotem‘ Fleisch (womit im arabischen Raum üblicherweise Schaf, Ziege oder Rind gemeint sind) und Geflügel vorgenommen – Hühnerfleisch wird in der Rezeptsammlung stets explizit als solches bezeichnet. Für unser erstes Testkochen im Rahmen eines Schulworkshops an der HLW Krieglach haben wir uns aus praktischen Gründen dennoch für Geflügel entschieden, da wir einige Hühnerbrüste übrig hatten. (Schmeckte auch wunderbar.)

Das Fleisch soll in kleine Stücke geschnitten, mit Koriander und Zimt gewürzt und mit Zwiebeln in etwas Sesamöl angebraten werden. Die Kochanleitung folgt dabei der für orientalische Eintopfgerichte üblichen Vorgehensweise: Das Fleisch, das zunächst in Fett angebraten wird, wird so lange geröstet, bis die austretende Flüssigkeit verdampft ist. Danach wird es mit einer Flüssigkeit – in unserem Fall mit einer Mischung aus Wasser und Essig – aufgegossen. Nach etwa der Hälfte der Garzeit soll der Speise eine Handvoll Kichererbsen beigemengt werden. Diese Anweisung findet man des Öfteren in orientalischen Rezepten – das Mitkochen von Hülsenfrüchten, Weizen oder Reis diente nicht nur der besseren Sättigung, sondern verlieh den Speisen eine sämige Konsistenz und wirkte darüber hinaus geschmacklich harmonisierend. Besonders Kichererbsen, zuvor im Mörser grob zerstampft, fungierten aufgrund der enthaltenen Stärke häufig als Bindemittel.

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Des Weiteren empfiehlt das Rezept die Beigabe von etwas Zucker oder Honig. Ein Blick ins Tacuinum Sanitatis, den ‚Schachtafeln der Gesundheit‘ des Ibn Butlan aus dem 11. Jahrhundert, zeigt, dass der Kombination von Zucker und Essig – neben der geschmacklichen Neutralisierung der Säure des Essigs – diätetischer Nutzen zugeschrieben wurde: So könne die schädliche Wirkung von Essig mit der Beigabe von Wasser und Zucker aufgehoben werden, Honig würde die stopfende Wirkung von Essig neutralisieren – allgemein kann der Speise durch die Mischung von Essig und Zucker (oder Honig) somit eine verbesserte Verträglichkeit zugesprochen werden.

Gemäß der Kochanleitung soll das Gericht mit Safran gefärbt werden. Im Mittelalter war Safran aufgrund seiner aufwendigen Gewinnung ein ausgesprochenes Luxusgut und seine reichliche Verwendung durchaus ein Statussymbol. Der aus dem Mittelmeerraum importierte Safran war wertvoll und nur für reichere Häuser erschwinglich. Das edle Gewürz war wohl weniger wegen seines Geschmacks, sondern vielmehr wegen seiner Eigenschaft als Färbemittel sehr beliebt, und so begegnet man in mittelalterlichen Kochrezepten häufig der Aufforderung, die Speise mit Safran (gelb) zu färben. Anweisungen zur Färbung mit Safran findet man nicht nur in orientalischen Rezepten wie beispielweise unserem Alugia, auch in mittelalterlichen Kochrezepttexten aus dem europäischen Raum stellen Formeln wie saffrann dar czue, so wirt es gell explizite Anweisungen zur Färbung von Speisen dar. Für die Färbung können die Safranfäden entweder im Ganzen mitgekocht oder – für intensivere Farbe und volleren Geschmack – zunächst im Mörser gemahlen und dann in Wasser aufgelöst werden. Durch die Beigabe am Ende der Zubereitung kann das Gewürz sein volles Aroma entfalten.

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Die getrockneten Blütennarben des Crocus sativus fanden in der kulinarischen Praxis jedoch nicht nur wegen ihrer färbenden Eigenschaft und ihrer Funktion als Statussymbol Verwendung, sondern auch aufgrund ihrer Heilkräfte: In der Abhandlung Ebn Baithars über die einfachen Heil- und Nahrungsmittel aus dem 13. Jahrhundert wird Safran eine Fülle an Heilwirkungen zugeschrieben. Unter anderem wirke er erweichend (d. h. verdauungsfördernd), adstringierend und harntreibend und stärke darüber hinaus das Herz.

Den Abschluss der Zubereitungsanleitung bildet die Anweisung, die Speise mit Rosinen und einer Mandel-Rosenwasser-Mischung zu komplettieren.

Auf die Kochanleitung folgen die für das Púch von den chósten typischen diätetisch-medizinischen Indikationen der Speise, die sich aufgrund der ähnlichen Zusammensetzung weitgehend mit jenen von Cirabecz, dem 58. Rezept in unserer Sammlung, decken (das Gericht wird mit Hühnerteilen zubereitet). Alugia wird als sehr bekömmlich, ausgewogen in der Zusammensetzung und nahrhaft beschrieben – hier erinnern wir uns an die eben ausgeführten diätetischen Zuschreibungen zu den einzelnen Zutaten, diese ergeben in ihrer Kombination eine besonders bekömmliche Speise. Auch allfällige Schadwirkungen unseres Gerichtes weiß man zu verhindern: Das Rezept empfiehlt mandel gemacht, eine Art Mandelkonfekt mit Zucker und etwas Kampfer, das in unserem Púch von den chósten als Rezept Nummer 3 überliefert ist. Vorbeugend gegenüber möglichen Nebenwirkungen der Speise sollte möglicherweise bereits die Mandel-Rosenwasser-Mischung dienen, mit der das Gericht abgerundet wurde.

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Moderne Interpretation des Gerichts zum Nachkochen

Zutaten für ca. 4 Personen
• 500g Hühnerbrust oder Rindfleisch von der Schulter
• 5 Zwiebeln, fein gehackt
• etwas Sesamöl, zum Anbraten
• 200g Kichererbsen, aus der Dose
• ca. 50g Mandeln, gemahlen
• ca. 100ml Essig und etwas Wasser, zum Ablöschen
• je 1 EL Honig und Zucker
• 1 Handvoll Rosinen
• 1 TL Koriandersaat, gemahlen
• 1 TL Zimt
• einige Safranfäden
• etwas Rosenwasser
• etwas Salz und Pfeffer

Zubereitung

1. Das Fleisch in kleine Stücke schneiden, mit Salz und Pfeffer würzen und etwas mehlieren. In einer Pfanne ausreichend Sesamöl erhitzen, das Fleisch darin kurz scharf anbraten und anschließend zugedeckt beiseitestellen.

2. Noch etwas Öl in die Pfanne geben und die Zwiebeln darin für mindestens 10 Minuten anschwitzen. Zucker und Honig hinzugeben, kurz karamellisieren lassen und mit Essig ablöschen.

3. Die Kichererbsen eventuell in einem Mörser oder mit einer Gabel etwas andrücken (so nehmen sie den Geschmack besser auf und verleihen dem Gericht etwas mehr Bindung) und in die Pfanne geben. Mit etwas Wasser aufgießen, sodass alles gerade bedeckt ist, mit Zimt, Koriandersaat, Salz und Pfeffer würzen und etwas einkochen lassen.

4. Die Safranfäden für etwa 10 Minuten in lauwarmem Wasser auflösen und mit Rosinen, Mandeln und den gebratenen Hühnerfleischstücken zum Eintopf geben. Alles bei niedriger Hitze noch etwas durchziehen lassen und zum Schluss mit etwas Rosenwasser parfümieren.

5. Vor dem Servieren mit frischen Kräutern, gehackten Mandeln und frisch gemahlenem Pfeffer garnieren. Dazu passen zum Beispiel Reis oder frisches Weißbrot.

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Obwohl wir bei unserem Recherchen für das Gericht Alugia kein Parallelrezept ausfindig machen konnten, entpuppte sich die Umsetzung des orientalisches Eintopfs auf Basis der frühneuhochdeutschen Überlieferung aus dem 15. Jahrhundert  hinsichtlich seines Geschmacks als sehr stimmig! Das Gericht wurde von den Köchinnen sowie Testesserinnen und -essern als schnelle, leicht zuzubereitende und vor allem sehr schmackhafte Speise empfunden – Prädikat: empfehlenswert! 

Autorinnen: Lisa Glänzer und Johanna Damberger. Unter Mitwirkung von Maria Waidacher, Ines Pulverer und Silvia Wetzlhütter (HLW Krieglach)
Fotos: Ylva Schwinghammer

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Quellen:

Ylva Schwinghammer, Wolfgang Holanik, Andrea Hofmeister-Winter und Lisa Glänzer: Speisen auf Reisen. Das frühneuhochdeutsche Púch von den chósten und seine Wurzeln im lateinischen Liber de ferculis und im arabischen Minhādj al-bayān in synoptischer Edition mit Übersetzung und überlieferungskritischem Kommentar. Graz: unipress 2019. (=Grazer mediävistische Schriften: Quellen und Studien. Band 2)

Grosse Zusammenstellung über die Kräfte der bekannten einfachen Heil- und Nahrungsmittel von Ebn Baithar. Aus dem Arabischen übersetzt von Joseph Sontheimer. Bd. 1: Stuttgart: Hallberg 1840; Bd. 2: Stuttgart: Hallberg 1842.

Heine, Peter: Kulinarische Studien. Untersuchungen zur Kochkunst im islamisch-arabischen Mittelalter. Mit Rezepten. Wiesbaden: Harrassowitz 1988.

Friedl, Verena: daz púch von den chósten. Dynamische Edition des deutschen Jamboninus von Cremona nach Cgm 415. Mit einem Glossar und Zutatenregister. Graz, Masterarbeit 2013. URL: http://unipub.uni-graz.at/download/pdf/226968 [30.08.2019].

Das Buch vom gesunden Leben. Die Gesundheitstabellen des Ibn Butlan in der illustrierten deutschen Übertragung des Michael Herr. Nach der bei Hans Schott erschienen Ausgabe Straßburg 1533. Hrsg. von Hans Zotter. Graz: ADEVA 1988.

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