
Wie werden Kochrezepte heute eigentlich erforscht?

Dieser Beitrag wird in Kooperation mit den Projekten CoReMa und Science Ink. präsentiert.
Ernährung und Kulinarik im Mittelalter sind Themen, die für unterschiedliche Forschungsdisziplinen interessant sind: So befasst sich beispielsweise die Archäologie mit Funden zu Nahrungsmitteln und Kochutensilien, während die Germanistik die aus dem Mittelalter erhaltenen Texte auswertet. Die so gewonnen Erkenntnisse können wiederum für andere Wissenschaften interessant sein, beispielsweise für die Klimaforschung, die aus der Veränderung von Ernährungsgewohnheiten und Getreideanbau auf die Wetterentwicklung schließen kann.
Ein Beispiel für aktuelle Forschung zur mittelalterlichen Kulinarik ist das Projekt CoReMa (Cooking Recipies oft the Middle Ages), das mit Hilfe der sogenannten Digitalen Geisteswissenschaften Kochrezepte aus dem Mittelalter computergestützt analysiert und über eine Forschungsplattform zur Verfügung stellt.
CoReMa – ein Projekt zur Erforschung mittelalterlicher Rezepte
Im Projekt CoReMA (Cooking Recipes of the Middle Ages) werden seit 2018 von einem Team an der Universität Graz (Österreich) und der Universität Tours (Frankreich) Kochrezepte aus dem Mittelalter untersucht. Der Fokus liegt dabei auf den Beziehungen zwischen Frankreich und den deutschsprachigen Ländern, auf die die französische Kultur von jeher einen großen Einfluss hatte. Durch Eroberungen, Heiraten und Handel gab es einen regen Austausch zwischen den Regionen und eine der Fragen innerhalb des Projekts ist, ob dieser Austausch auch im Bereich der Küche stattgefunden hat. Finden sich in den französischen Handschriften die gleichen Rezepte wie in den deutschen Handschriften? Oder gibt es wenig Gemeinsamkeiten und jede Region hat eine eigenständige kulinarische Entwicklung durchgemacht? Um herauszufinden, ob und wie sich bestimmte Rezepte in Europa verbreiteten, wird die gesamte heute bekannte mittelalterliche Kochrezeptüberlieferung von Frankreich und den deutschsprachigen Ländern analysiert. Betrachtet werden dabei alle Rezeptexte in deutscher, französischer und lateinischer Sprache, die bis ca. 1500 aufgeschrieben wurden. In Summe sind das 93 Handschriften und ca. 8000 Kochrezepte!
Die Untersuchung der Kochrezepte wird mit Hilfe des Computers durchgeführt. Ein Mensch könnte nicht tausende Rezepte miteinander vergleichen, um Unterschiede oder Gemeinsamkeiten herauszufinden. Daher werden technische Mittel eingesetzt, die bei der Analyse helfen. Damit der Computer die Rezepte vergleichen kann, müssen die in den mittelalterlichen Handschriften vorhandenen Texte erst entsprechend aufbereitet werden: Zunächst braucht es dazu einen Text, mit dem Mensch und Computer arbeiten können.
Da die mittelalterlichen Rezepte in Form handschriftlicher Aufzeichnungen in über 90 verschiedenen Quellen vorliegen, mussten zunächst Digitalisate, also Bilder von den einzelnen Seiten der alten Bücher, angefertigt werden. Der dort enthaltene Text wurde von den Wissenschaftler*innen anschließend transkribiert, das bedeutet von einer Schrift (der mittelalterlichen Handschrift) in eine andere, vom Computer lesbare Schrift übertragen. Vereinfacht gesagt: Die Texte wurden abgeschrieben, damit sie in digitaler Form vorliegen und weiterbearbeitet werden können. Diese Transkription erfolgt ‚hyperdiplomatisch‘. Darunter versteht man, dass nicht nur buchstabengetreu abgeschrieben wird, sondern dass auch zusätzliche Merkmale, wie z. B. heute nicht mehr verwendete Zeichen, Markierungen oder Abkürzungen, die in alten Schriften vorkommen, übertragen werden. Den Texten werden so zusätzliche Informationen hinzugefügt, denn: Je mehr Wissen von Beginn an vorhanden ist, desto größer sind die Möglichkeiten, die der Text für spätere wissenschaftliche Untersuchungen bietet.

Da die Kochrezepte in verschiedenen Sprachen vorliegen, mussten im Rahmen der Datenmodellierung weitere Eingriffe in den Text erfolgen: Es wurden hierfür u.a. die Zutaten der Rezepte annotiert (mit Anmerkungen versehen): Dem Computer wird dadurch z.B. mitgeteilt, dass es sich beim deutschen Wort ‚Apfel‘, beim französischen Wort ‚pomme‘ und beim lateinischen Wort ‚malum‘ um die gleiche Zutat handelt. Solche Annotation werden auch bei anderen Wörtern, teils auch Satzteilen vorgenommen, z. B. bei Gerichten (Mus, Braten, Sauce …) oder Küchengeräten (Löffel, Backform, Schneidbrett …).

Zusätzlich werden diese Begriffe mit bereits bestehenden Datenbanken im Semantic Web verknüpft, um die Daten auch außerhalb des Projektes nutzbar zu machen. Dafür benutzt das Projekt in erster Linie Wikidata, eine freibearbeitbare Wissensdatenbank, die von Maschinen gelesen und verarbeitet werden kann. Die Ergebnisse, die der Computer beim Vergleich der Kochrezepte liefert, werden vom Projektteam überprüft, ausgewertet, interpretiert und schließlich auch veröffentlicht.

Auf der Webseite des Projektes CoReMa sind aber nicht nur die endgültigen Resultate dieser Arbeitsschritte verfügbar, sondern vieles mehr: Beispielsweise kann man die digitalen Bilder aller verwendeten Handschriften ansehen und sich direkt daneben Transkription anzeigen lassen – man muss also kein*e Experte*in für mittelalterliche Schriften sein, um in den alten Kochrezeptsammlungen lesen zu können. Daneben haben Nutzer*innen theoretisch die Möglichkeit; selbst zu überprüfen, ob die Transkription korrekt ist.

Zusätzlich gibt es eine Lesefassung der Rezeptexte. Hier ist der Text ‚normalisiert‘, d.h. es stecken weniger paläographische und kodikologische Informationen darin, also z. B. weniger Daten zu historischen Buchstaben oder der Originalhandschrift. Dafür lässt sich der Text leichter und flüssiger lesen. In dieser Version ist es auch möglich, unterschiedliche Annotationen sichtbar zu machen. Je nachdem, was man auswählt, werden Zutaten, Gerichte, Küchengräte usw. farblich im Text hervorgehoben. Oder man sucht über die Suchfunktion nach einer bestimmten Zutat, dann werden alle Rezepte ausgegeben, die diese Zutat enthalten.

Einige weitere Dinge können mittels Grafiken sichtbar gemacht werden. Bei dieser Informationsvisualisierung geht es um eine möglichst aussagekräftige und übersichtliche Darstellung von Daten: Z.B. zeigt eine interaktive Landkarte, wo die mittelalterlichen Handschriften heute aufbewahrt werden und aus welchem Sprachraum sie ursprünglich stammen. Zusätzlich gibt eine Zeitleiste, um Datierungen, also wann welche Handschrift entstanden ist, sichtbar zu machen. Allgemeine Informationen zum Projekt, den Untersuchungsmethoden und spezielle Beschreibungen zu jeder einzelnen Handschrift sind ebenfalls auf der Website zu finden.

Das Wissenschaftsvermittlungsprojekt Science Ink.
Corema wird vom Wissenschaftsvermittlungsprojekt Science Ink. begleitet. Hier werden Themen wie mittelalterliche Kulinarik und Forschungsmethoden der digitalen Geisteswissenschaften für eine breitere Öffentlichkeit . Die Ergebnisse sollen auch junge Menschen, die noch wenig Kontakt zu Forschung und Universität hatten, erreichen. Gerade diese Menschen werden im Zuge von Wissenschaftsvermittlung oft vernachlässigt, weil sie vorhandene Angebote nicht von selbst aufnehmen. Daher ist es umso wichtiger, die Inhalte gezielt auszuwählen, um die Arbeit von Forscherinnen und Forschern und die Themen, mit denen sie sich beschäftigen, interessant und niederschwellig darzubieten.
Dazu wird im Projekt Science Ink Wissenschaft u. a. mit einem für Junge immer interessanten Alltagsthema kombiniert, nämlich Tätowieren. Das soll den Zugang zu den wissenschaftlichen Inhalten erleichtern und auch zeigen, dass Wissenschaft in allen Lebenslagen Platz hat und auf Interesse stößt.
Kern des Projekts sind Videoclips, die als Serie im Stil einer „Doku Soap“ (Science Ink) veröffentlicht werden. Zentraler Schauplatz ist ein Tattoo-Studio. In dieser Umgebung sprechen der Tätowierer und der Wissenschaftler über ihre Arbeit. Die Filmclips orientieren sich an speziellen Interessen Jugendlicher und junger Erwachsener, an aktuellen Video- und Youtube-Trends, an gängigen Erklärvideomethoden und an allgemeinen Aspekten der Wissenschaftskommunikation.
coming soon: Folge 7
coming soon: Folge 8
coming soon: Folge 9
In der Rahmenhandlung der Serie treffen ein Tätowierer und Wissenschaftler aufeinander und sprechen über das Design eines neuen Tattoos – nebenbei werden Aspekte zur mittelalterlichen Ernährung, Kochanleitungen für historische Speisen und aktuelle Forschungsansätze der Digital Humanities und selbstverständlich Informationen zum Tätowieren vermittelt. Wissenschaft fließt in das Gespräch über “Einblendungen” ein, in denen andere Locations (zum Beispiel das Büro, der Lehrsaal, die Küche) eingeführt werden.
Zusätzlich zu den Videos gibt es im Rahmen der begleitenden Website etwas ausführlichere Zusammenfassungen der wissenschaftlichen Inhalte und darüber hinaus didaktische Module für die Vermittlung der Inhalte in der Schule. Ein weniger formeller Zugang zu den Inhalten wird über ein Jump’n’Run Game angeboten. Die Videoclips werden also immer in Kombination mit interaktiven Inhalten zur spielerischen Erforschung der Inhalte angeboten.
PS: Zum didaktischen Modul – einem „Mittelalterkochbuch für die Schule“ lest hier bald mehr! 🙂
Text und Bilder: Projektteam Science Ink. (2022)
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