Ist Zimt gleich Zimt?

Wenn in der Weihnachtszeit der Duft frisch gebackener Kekse oder süßer Bratäpfel in der Luft liegt, assoziieren wir damit vor allem ein Gewürz: Zimt. Während Zimt heutzutage der Inbegriff für weihnachtliche Süßspeisen und Heißgetränke ist, wurde er im Mittelalter hauptsächlich für pikante Speisen verwendet. So sind uns viele Fleischrezepte aus dieser Zeit überliefert, die Zimt als Zutat verlangen. Auch heute ist diese Art der Verwendung in einigen Teilen der Welt wie dem Nahen Osten, Griechenland oder Indien durchaus verbreitet.

ZimtstangenZimtstangen (Foto: Ylva Schwinghammer)

Zimt war im Mittelalter sowohl im Orient als auch in Europa eines der beliebtesten Gewürze überhaupt. Doch woher kam der damals bei uns genutzte Zimt? Mit unserem heutigen Wissen über die Herkunft dieses Gewürzes und über die Entwicklung des Handels zwischen Europa und dem arabischen Raum erscheint uns die Antwort sehr einfach: Der echte Zimt ist auf der Insel Sri Lanka beheimatet und kam im Mittelalter durch die Araber nach Europa. Auch ist heute allgemein bekannt, dass Zimt aus der Rinde einer Pflanze gewonnen wird. Im Mittelalter herrschte jedoch großes Unwissen über die Herkunft des Gewürzes, und zwar sowohl in Hinblick auf dessen Ursprungsland als auch in Hinblick auf dessen botanische Abstammung. Die Menschen wussten zwar, wie Zimtstangen oder Zimtpulver aussahen, konnten sie diese doch bei Gewürzhändlern oder Apothekern in ihrer Stadt erwerben, sie hatten jedoch keine Vorstellung, wie die dazugehörige Pflanze aussah oder aus welchen Teilen Zimt gewonnen wurde. Bezüglich der geographischen Herkunft herrschte allgemein die Tendenz, alle importierten Gewürze mit dem Orient zu assoziieren. Über die genauen Herkunftsländer wusste jedoch niemand Bescheid – es waren weder deren Namen bekannt noch existierte eine Vorstellung über deren Erscheinungsbild. Die Lücke zwischen der Vertrautheit mit den in Europa erhältlichen Gewürzen und der völligen Unwissenheit über deren Herkunft bot ausreichend Raum für Fantasien und Mystifizierungen. So entstanden märchenhafte Geschichten und Legenden über die exotischen Gewürze. Über Zimt erzählte man sich, dass Vögel in einem fernen östlichen Land ihre Nester aus Zimtrinden bauten und die Ernte daher in schwindelerregenden Höhen stattfinde.

 

Es gibt verschiedene Zimtarten, die bei uns in den Verkauf gelangen, wobei es sich hauptsächlich um Rinden der Pflanzen Cinnamomum verum (Ceylonzimtbaum) und Cinnamomum cassia (Chinesischer Zimt) handelt. Ceylon-Zimt, auch Kaneel genannt, gilt generell als feinerer und besserer Zimt, wie der lateinische Artname verdeutlicht. Seine Heimat ist die Insel Sri Lanka, die auch Namensgeber für diese Zimtsorte war, da sie früher Ceylonzimt hieß. Der Chinesische Zimt wird auch als Zimtkassie bezeichnet und wächst, wie der Name schon verrät, in China. Diese beiden Zimtarten dominieren heute das Zimtangebot in unseren Supermärkten. Aber welche Zimtsorten wurden im Mittelalter verwendet? Um diese Frage zu klären, ist es notwendig, sich in die mittelalterliche Fachliteratur, allen voran Kräuter- und Arzneibücher, zu vertiefen. Die dort anzutreffenden Zimtbeschreibungen geben einige Hinweise auf die damals genutzten Sorten. Auch wenn sich die einzelnen Einträge nicht exakt decken, ist doch eine allen gemeinsame Tendenz zu erkennen. So stößt man immer wieder auf zwei Gattungen: cinamomum und cassia. Es ist nahezu unmöglich, diese beiden Namen aktuellen botanischen Artbezeichnungen zuzuordnen, da einerseits die Beschreibungen von Text zu Text divergieren, andererseits die Aussagen oft keiner spezifischen Pflanze zugeordnet werden können. Auch wenn daher eine genaue Bestimmung der verwendeten Zimtarten nicht möglich ist, so können wir doch eine interessante Spur zu einer weiteren Pflanze entdecken. Immer wieder tauchen in Verbindung mit cassia nämlich Beschreibungen und Bezeichnungen auf, die uns eindeutig zur Pflanze Cassia fistula, der Röhren-Kassie, führen. Diese Pflanze, besser bekannt unter dem Namen Indischer Goldregen, gehört zur Familie der Johannisbrotgewächse (Caesalpinioideae). Im Arzneibuch des Codex germanicus monacensis 415 findet sich eine aufschlussreiche Stelle über die verschiedenen Zimt-Varianten:

Ist Zimt gleich Zimt? Die Beschreibung der verschiedenen Zimtsorten im Arzneibuch des Cgm 415. München, BSB, Cgm 415, fol. 174v-175r. (http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0006/bsb00062818/images/) [12.09.2019]

cassia lignea daz ist von d(er) rintt des pawms von pokchornell daz do haizt cassia fistula […] Du scholst auch wißen daz cassia lignea vn(d) xilocassia ain Ding ist Vnd ist czwai(e)rlay daz ain ist gleich czymerintt(e)n di ist gar rot vnd gancz vnd hat ain gancz gestalt vnd veste vn(d) so man daz pricht daz es nicht stewbt sund(er) daz ez wid(er)stet Das hat ain scharfen gesmakch(e)n gemischt czu süzzichait mit wolgesmakch vn(d) also ist ez pezz(er) ab(er) wir nutcz(e)n daz doch nicht in den erczneien Ain and(er) gestalt ist vntt(er)rot od(er) rötlacht vn(d) hat ain tail gecwaiter varb (fol. 174v-175r).

Offenbar wurde aus der Röhren-Kassie ein heimischer Zimt-Ersatz hergestellt. Cassia lignea wird nämlich laut dieser Beschreibung aus der Rinde ebendieser Pflanze gewonnen. In dem Text wird Cassia fistula interessanterweise als Bockshörndlbaum bezeichnet, ein Name, den heute in Österreich nur der ebenfalls zur Familie der Johannisbrotgewächse gehörende Johannisbrotbaum (Ceratonia siliqua) trägt. Im Mittelalter wurde offensichtlich auch Cassia fistula mit diesem Trivialnamen bezeichnet.

Johannisbrotbaum
Ein Bauer erntet die Hülsenfrüchte des Johannisbrotbaums. Wien, ÖNB, Cod. 2644 (Hausbuch der Cerruti), fol. 14v. (http://data.onb.ac.at/rep/10020524 [12.09.2019])

Aus der Beschreibung im Arzneibuch des Cgm 415 geht auch klar hervor, dass die echten Zimtrinden, denen eine festere Struktur und ein scharf-süßer Geschmack zugeschrieben werden, die bessere Variante darstellen. Dies spiegelt die damalige Überzeugung der größeren Wirksamkeit orientalischer Gewürze im Vergleich zu ihren heimischen Alternativen wider. Im Anschluss an diese Stelle heißt es jedoch, dass die als besser titulierten Zimtrinden trotzdem nicht für die Arzneiherstellung verwendet werden. Aber warum sollte für so etwas Wichtiges wie Arzneien gerade auf die weniger gute Alternative zurückgegriffen werden? Das dürfte wohl auf finanzielle Überlegungen zurückzuführen sein. Während importierte Gewürze aufgrund langer Transportwege sehr teuer waren und daher nur von Adeligen oder Patriziern erworben wurden, konnte sich die breite Mehrheit der Bevölkerung nur die billigeren heimischen Alternativen leisten. Das Arzneibuch des Cgm 415 war vermutlich für den internen Klostergebrauch bestimmt und nicht für einen adeligen Haushalt. Dass ein Kloster nicht horrende Summen für Gewürze ausgeben kann und möchte, scheint einleuchtend und erklärt, warum bei der Arzneiherstellung der Zimt-Ersatz durch Cassia fistula empfohlen wird. Ein weiteres Problem, das häufig in Verbindung mit exotischen Gewürzen auftritt, ist deren Unbekanntheit bei niedrigeren gesellschaftlichen Schichten. Auch aus diesem Grund werden in Rezeptsammlungen oder Kräuterbüchern, deren Rezipientenkreis in ebendiesen Bevölkerungsschichten zu finden ist, oft Alternativvorschläge genannt.

 

Zimt wurde im Mittelalter mit verschiedensten Wirkungen assoziiert. Eine der kuriosesten ist sicher seine potenzfördernde Wirkung. Im Kitāb al-Aġḏiya wa-l-ašriba des Arztes Naǧīb ad-Dīn as-Samarqandī, einer umfangreichen auf Arabisch verfassten Nahrungsmitteldiätetik aus der Zeit um 1200, kann man dazu Folgendes lesen: „Daher unterstützt er die Potenz, was möglicherweise auf die Feinheit seiner Substanz, sein Durchdringungsvermögen in den Adern und die dortige Umwandlung der Feuchtigkeiten zu blähenden Winden zurückzuführen ist, so dass er erektionsfördernd wirkt.“ Doch die Verbindung von Zimt und der Förderung der männlichen Potenz ist nichts, das im Mittelalter neu erfunden wurde. Schon seit der Antike wird Zimt sowohl im Westen als auch im Osten mit Sexualität assoziiert, sei es als Aphrodisiakum oder als potenzförderndes Mittel. Ein Blick in Bücher der modernen Volksmedizin zeigt, dass ihm diese spezielle Zuschreibung sogar bis heute geblieben ist.

Autorin: Judith Kasper

Verwendete Quellen:

Codex germanicus monacensis 415: URL: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0006/bsb00062818/images/ [12.09.2019].

Kasper, Judith: Zucker, Zimt und Koriander. Studie zur Diätetik der Gewürze im Codex germanicus monacensis 415. Diplomarbeit, Graz 2019. URL: https://unipub.uni-graz.at/download/pdf/3764301 [12.09.2019].

Klug, Helmut W.: Portal der Pflanzen des Mittelalters: URL: http://medieval-plants.org/ [12.09.2019].

Lieberei, Reinhard und Reisdorff, Christoph: Nutzpflanzen. Begr. von Wolfgang Franke. 8., überarb. Aufl. Stuttgart u.a.: Thieme 2012.

Müller, Juliane: Nahrungsmittel in der arabischen Medizin. Das Kitāb al-Aġḏiya wa-l-ašriba des Naǧīb ad-Dīn as-Samarqandī. Leiden, Boston: Brill 2017. (= Islamic Philosophy, Theology and Science. Texts and studies. 101.)

Siewek, Fred: Exotische Gewürze. Herkunft, Verwendung, Inhaltsstoffe. Basel u.a.: Birkhäuser 1990.

Smith, Stefan Halikowski: The Mystification of Spices in the Western Tradition. In: European Review of History/Revue européenne d’Histoire 8 (2001), H. 2, S. 119-136.

Gernot Katzers Gewürzseiten: URL: http://gernot-katzers-spice-pages.com/germ/index.html [12.09.2019].

 

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