Cadich: Orientalisches gewürztes ‚Beef Jerkey‘ gegen Heißhungerattacken

Im orientalischen Mittelalter waren unterschiedliche Arten der Fleischkonservierung bekannt: Was nicht frisch nach dem Schlachten verwertet wurde, könnte gedörrt, eingesalzen oder in Essig eingelegt haltbar gemacht werden. Auch Konservierung durch Eis wird in diätetischen Werken wie dem um 1200 entstandenen ‚Buch der Nahrungsmittel und Getränke‘ bereits angeführt, war allerdings im Alltag wohl weniger verbreitet. Neben zwei Einträgen zu Pökelfleisch (Namaksud bzw. Maxut) findet in unserem frühneuhochdeutschen Púch von den chósten auch eine Art Dörrfleisch Erwähnung:

Cadich ist flaisch zu dúnnen und chlainleichen stukchen gesnitten und wirt getrúkchent und ist mynnerr wérm wann daz seer gesalczen flaisch und sterkcht die chreftew und ist gesunt dem waßersuchtigen cacesia und <dem>, der do vol ist póser fewchtichait, und aller maist, die do in ezzich waich wirt, wann ez den dúrst mynner raiczt, und lesscht die chrankchait, die do ist genannt hunts begir, und ist chlainer narung und wir<t> untterstunden gekocht mit ól von unczeitigen ólpérn und milch. (Cgm 415, fol. 3v)

Cadich ist Fleisch, in dünne und kleine Stückchen geschnitten, und <er> wird getrocknet und ist weniger warm als das stark gesalzene Fleisch. <Er> stärkt die Kräfte und ist gesund für den durch Wassersucht Abgemagerten und <für den>, der voll schlechter Feuchtigkeit ist, und am <gesündesten ist> jene <Cadich>, die in Essig erweicht wird, weil es den Durst weniger reizt, und <sie> beseitigt die Krankheit, die Wolfshunger genannt wird. Und <sie> besitzt wenig Nährwert und wird <aus diesem Grund> manchmal mit Öl von unreifen Oliven und Milch gekocht.

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Auf der Suche nach den Wurzeln jener Speise, die im frühneuhochdeutschen Cadich genannt wird, werden wir in mittelalterlichen arabischen Werken fündig: Als Qadid bezeichnete man in lange dünne Streifen geschnittenes Fleisch, das in einer Marinade aus Essig, Salz und Gewürzen eingelegt und anschließend in der Sonne gedörrt wurde. Eingesalzenes, getrocknetes Fleisch galt in diätetischer Hinsicht als heiß, trocken und schwer verdaulich, was man durch Beigabe von Essig, Koriander und verdauungsfördernden Gewürzen abmildern wollte. Die Empfehlung unseres Textes der als wenig nahrhaften geltenden Speise für „von Wassersucht Abgemagerte“ mag auf den ersten Blick irritieren – hier wird allerdings nicht auf eine ‚Auffettung‘ des Körpers abgezielt, sondern auf eine Trocknung bzw. Entfernung schädlicher Feuchtigkeit, die man sich durch das erhitzende, austrocknende Dörrfleisch erhoffte. Auch die zweite im Púch von den chósten angeführte Wirkung erschließt sich nicht sofort. Wolfshunger lässt sich in die Nähe von griech. bulimia (wörtlich: „Ochsenhunger“) zurückführen. Wir haben es hier allerdings nicht mit der heute unter diesem Namen bekannten Essstörung zu tun, denn ursprünglich bezeichnete das Wort lediglich unspezifisch das Symptom des Heißhungers, also einem übermäßigen Verlangen nach Nahrung. Der Minhādj al-bayān, jenes Arzneibuch, aus dem unsere frühneuhochdeutschen Rezepte stammen, beschreibt an dieser Stelle „den Hunger, der bei betrunkenen Menschen ausgelöst wird.“ Diese Beschreibung findet sich auch in anderen arabischen Werken, die Qadid bei exzessivem Alkoholkonsum empfehlen, um ein Überessen in diesem Zustand zu vermeiden. Hier findet sich auch eine weitere praktische Verwendung der Dörrfleischstreifen: Sie wurden als kleine Knabberei gereicht, um die Wartezeit auf ein spätes Abendessen zu überbrücken. Daneben konnten die Fleischstücke als Einlage für Eintöpfe verwendet werden. Mitunter wurden sie nach dem Trocknen in heißem Öl frittiert und anschließend in Olivenöl eingelegt.

Für alle, die nun auf den Geschmack gekommen sind, haben wir auf Basis der unterschiedlichen Quellen im Folgenden eine an moderne Verhältnisse angepasste Umsetzungsvariante kreiert. Neben Geflügel wurden im orientalischen Raum im Mittelalter vor allem Schaf, Ziege und Rind gegessen, die sich alle zum Dörren eignen. Wir haben uns für Rindfleisch entschieden und das in anderen Texten erwähnte Murrī (eine fermentierte Würzsauce auf Getreidebasis) durch dunkle Sojasauce ersetzt. Da wir das Rezept alltagstauglich machen wollten, setzen wir zum Trocknen auf ein herkömmliches Backrohr – natürlich ginge auch ein Dörrautomat. (Von einer Sonnentrocknung im Freien raten wir aus praktischen Gründen eher ab, insbesondere dann, wenn man wie die Verfasserin in Waldnähe wohnt und Hunde und Katzen sein Eigen nennt ;-))

 

Moderne Umsetzung für ein Blech ‚Cadich‘ zum Verkosten

  • 500 g Rindfleisch (z.B. Rindsschnitzel)
  • 6 EL Sojasauce (bevorzugt eine dunkle, dickflüssige)
  • 3 EL Essig (z.B. Reisessig, Weißweinessig)
  • 1 TL Koriander gemahlen
  • 1 TL Kreuzkümmel gemahlen
  • 1 TL Salz
  • 1 TL schwarzer Pfeffer gemahlen
  1. Sojasauce, Essig, Koriander, Kreuzkümmel, Salz und Pfeffer miteinander verrühren.
  2. Fleisch in hauchdünne Streifen schneiden und 12 bis 24 Stunden (am besten über Nacht) in der Marinade ziehen lassen. Darauf achten, dass alle Fleischstreifen von Marinade bedeckt sind.
  3. Fleischstreifen auf einem Grillrost verteilen und bei 40-50 Grad Umluft im Backrohr dörren. Das dauert – abhängig von der Dicke der Fleischstücke – in etwa 3 Stunden. (Tipp: Backpapier unter den Rost legen, um Verschmutzung durch abtropfende Marinade zu verhindern)

Cadich sollte gut verschlossen und aufbewahrt sehr lange haltbar sein. Bei uns hat bisher keine Ladung den hungrigen Mäulern lange genug Stand gehalten, um genauere Angaben zu machen…

Verfasserin: Ylva Schwinghammer

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Quellen:

Ylva Schwinghammer, Wolfgang Holanik, Andrea Hofmeister-Winter und Lisa Glänzer: Speisen auf Reisen. Das frühneuhochdeutsche Púch von den chósten und seine Wurzeln im lateinischen Liber de ferculis und im arabischen Minhādj al-bayān in synoptischer Edition mit Übersetzung und überlieferungskritischem Kommentar. Graz: unipress 2019. (=Grazer mediävistische Schriften: Quellen und Studien. Band 2)

Heine, Peter: Kulinarische Studien. Untersuchungen zur Kochkunst im islamisch-arabischen Mittelalter. Mit Rezepten. Wiesbaden: Harrassowitz 1988.

Müller, Juliane: Nahrungsmittel in der arabischen Medizin. Das Kitāb wa-l-ašriba des Nağīb ad-Dīn as-Samarqandī. Edition, Übersetzung und Kontext. Leiden, Boston: Brill 2017. (Islamic Philosophy, Theology and Science. Texts and Studies. 101.)

Nasrallah, Nawal: Annals of the Caliph’s Kitchen. Ibn Sayyar al-Warraq’s Tenth-Century Baghdadi Cookbook. English Translation with Introduction and Glossary. Leiden, Boston: Brill 2007. (Islamic History and Civilization. 70.)

Joseph Sontheimer: Grosse Zusammenstellung über die Kräfte der bekannten einfachen Heil- und Nahrungsmittel von Ebn Baithar. Bd. I: Stuttgart: Hallberg 1840; Bd. II: Stuttgart: Hallberg 1842.

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