Salbei-Nuss-Sauce: mehr als eine Würzsauce!

In der „Grazer hauswirtschaftlich-medizinischen Sammlung“ (UBG Ms. 1609) finden wir ein Kochrezept für eine Salbei-Nuss-Sauce:

Item. Wildw machen ein salsen czw vischen, so nyem saluan vnd zmameye vnd waellisch nuess. Das reib mit guetten wein ab vnd esseich durch. Also wird es guett.

Willst du eine Sauce zu Fischen machen, so nimm Salbei und Zimt und Walnuss und reibe das mit gutem Wein und Essig durch [ein Sieb oder ein Tuch]. So wird es gut.

Diese Sauce wird im Kochrezepttext gezielt zum Verzehr mit Fisch empfohlen. Dass es dabei um deutlich mehr als nur den Geschmack ging, verrät ein Blick in die diätetisch-medizinische Literatur des Mittelalters.

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Der medizinische Hintergrund der mittelalterlichen Kulinarik

Die Grundlage der mittelalterlichen Medizin bildet die aus der antike übernommene Humoralpathologie: Bereits in vorhippokratischer Zeit existierte die Vorstellung, dass die Welt aus vier Elementen aufgebaut sei, denen paarweise die Qualitäten ‚heiß‘ oder ‚kalt‘ bzw. ‚trocken‘ oder ‚feucht‘ zuzuordnen seien. Der berühmte Arzt Hippokrates von Kos (um 400 v. Chr.) ging davon aus, dass der menschliche Körper aus vier Körpersäften zusammengesetzt sei, wobei jeder Mensch durch eine eigene Mischung der Körpersäfte bestimmt sei und dann als gesund gelten könne, wenn die Körpersäfte im richtigen Verhältnis (für den jeweiligen Menschen) im Körper vorhanden seien. Je nach Dominanz eines Körpersaftes wurde der Charakter des Menschen eingeteilt.

Element

Primär-qualitäten Jahreszeit  

Körpersaft

 

Charaktertyp

Charakter-eigen-schaften

Feuer trocken + heiß Sommer gelbe Galle Choleriker jähzornig, leichtsinnig, scharfsinnig
Luft feucht + heiß Frühling Blut Sanguiniker gütig, bescheiden, freundlich
Wasser feucht + kalt Winter Schleim Phlegmatiker wachsam, nachdenklich, wenig kühn
Erde trocken + kalt Herbst schwarze Galle Melancholiker heimtückisch, neidisch

 

Dieses System wurde im Mittelalter kompakt vermittelt, so wird es zum Beispiel am Beginn des Kräuterbuchs „Macer“ vorgestellt, ebenso in den Medizinbüchern der „Bartholomäus“-Tradition oder im Arzneibuch des Ortolf von Baierland.

Die Primärqualitäten ‚heiß‘ und ‚kalt‘ bzw. ‚trocken‘ und ‚feucht‘ kommen nicht nur den Elementen, Körpersäften oder Jahreszeiten zu, sondern prinzipiell jedem Ding der Schöpfung. Damit wird das System auch für die Küche interessant, denn jede Nahrungsaufnahme wirkt auf den Organismus des Menschen ein. Seit Galen von Pergamon (2. Jh. n. Chr.) werden zusätzlich vier Grade unterschieden, die die Intensität der Primärqualität angeben sollen. In der deutschsprachigen Übersetzung des „Macer“ heißt es dazu:

Die arztbuch sagen von vier greten vor der nature. Der nature erste grat ist, so man sprichet: „warm“. Der ander grat ist, so man sprichet: „wermer“. Der dritte grat ist, so man sprichet: „aller wermest“. Der vierde grat ist, so man sprichet: „wermer denne aller wermest“. Also sult irs vernemen von den andern drin greten.

Die Arzneibücher sprechen von vier Graden der Qualitäten: Der erste Grad der Qualität wird genannt „warm“. Der zweite Grad „wärmer“, der dritte Grad heißt „am wärmsten“. Der vierte Grad heißt: „wärmer als am wärmsten“. Und so sollt ihr es auch verstehen, von den anderen drei Qualitäten.

Je nach Zusammensetzung einer Speise und der Stärke der Qualitäten in ihren Zutaten, versuchten die Köche des Mittelalters die Speisen mithilfe von Saucen bekömmlich(er) zu machen, indem sie humoralpathologische Qualitäten der Speise verstärken oder abschwächen konnten, je nachdem wie die Saucen zusammengesetzt waren.

Unverzichtbar waren Saucen bei Fleisch und Fisch sowie zum Eintunken von in Fett Gebackenem wie Krapfen oder Strauben, unabhängig davon, ob letztere süß oder pikant, gefüllt oder ungefüllt waren. Neben dem Modifizieren des Gerichts hinsichtlich Verdaulichkeit und Ernährungsphysiologie hat dies auch einen küchenpraktischen Grund: Beim Braten am Spieß oder Rost kommt es zu einem starken Saftverlust, das heißt die Speise wird (im modernen Sinn) trocken, wogegen eine Sauce gut helfen kann. Daneben gibt es auch Hinweise, dass Sauce und Brot als eine Art Imbiss gereicht wurden. Brot wurde im Mittelalter bevorzugt getunkt oder eingebrockt, da es relativ hart gebacken wurde, um Schimmelbildung zu vermeiden. Dementsprechend konnte es mithilfe von Saucen weicher und angenehmer zu essen gemacht werden.

Die medizinische Wirkung von Saucen wird fallweise explizit beschrieben, so z.B. in der „Küchenmeisterei“, einem Frühdruck von 1490:

Vn(d) darumb so habe(n) die alte(n) mayster d(er) ertzney vil vn(d) mancherley salssen erdacht vn(d) lere(n) mache(n). nur zu eine(m) zusatz vnd wendung vil vnreiner gebrechen. […] Vnnd darumb setzen die bewerten mayster alle salssen mer von nutz wegen dan wol lustes wegen.

Und daher haben die alten Meister der Heilkunst zahlreiche und vielfältige Saucen ersonnen und durch Lehre verbreiten lassen, nur als Zugabe und zur Abwendung vieler Beschwerden (die durch ein Ungleichgewicht der Körpersäfte entstehen). […] Und aus diesem Grund setzen die bewährten Meister alle Salsen mehr wegen ihres (gesundheitlichen) Nutzens denn wegen des Genusses ein. (Übersetzung: Andrea Hofmeister-Winter 2016).

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Zu den Inhaltsstoffen der Salbei-Nuss-Sauce

Zur Herstellung unserer Salbei-Nuss-Sauce wird neben Salbei und Walnüssen Zimt, guter Wein und Essig benötigt. Salbei gehört zu den einheimischen Kräutern und wird bereits von Walahfrid Strabo, der im 9. Jahrhundert Abt des Klosters Reichenau war, in seinem Gedicht De cultura hortorum als Pflanze des Klostergartens besungen. Der Einsatz des Salbeis im medizinischen Bereich lässt sich aus seinem Eintrag im Kräuterbuch „Macer“ erschließen: Dort werden Salbeianwendungen gegen Leberkrankheiten, Totgeburten, Tierbisse, stark blutende Wunden, Bauchschmerzen, Husten oder zum Schwarzfärben der Haare empfohlen. Im „Gart der Gesuntheit“, einem Frühdruck von 1485, werden die heilenden Eigenschaften von Pflanzen – neben tierischen Drogen und Mineralien – umfassend beschrieben. Der Salbei wird dort als heiß im ersten und trocken im zweiten Grad beschrieben.

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Abbildung des Salbeis im „Gart der Gesuntheit“ (1485)

Der Zimt hat ähnliche Eigenschaften: Im „Gart der Gesuntheit“ wird er unter Berufung auf das salernitanische lateinische Medizinwerk „Circa instans“ als heiß im dritten und trocken im zweiten Grad beschrieben. Die Walnüsse charakterisiert der „Gart der Gesuntheit“ unter Berufung auf den arabischen Gelernten Avicenna (Abū Alī al-Husain ibn Abd Allāh ibn Sīnā) ebenfalls als heiß im dritten und trocken im zweiten Grad. Im arabischen Raum entstand das „Tacuinum Sanitatis“, das in deutscher Übersetzung „Schachtafelen der Gesuntheyt“ genannt wurde und in kompakter Form über die Qualitäten von Lebensmitteln informiert: Der Wein wird darin als heiß und trocken im zweiten Grad beschrieben.

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Wenn man nun sieht, dass Fische im Tacuinum Sanitatis als kalt und feucht im dritten Grad – und damit also in einer sehr starken Ausprägung – beschrieben werden, so zeigt sich, dass unsere Salbei-Nuss-Sauce zu Fischen bemüht ist, diese starke humoralpathologische Wirkung auszugleichen, weil die meisten Zutaten der Sauce – nämlich Salbei, Zimt, Walnüsse und Wein – als heiß und trocken galten. Tatsächlich wird im Tacuinum Sanitatis zu den Fischen auch festgehalten, dass ihr Genuss Durst verursache, was man aber verhindern könne, wenn man sie mit Wein und Rosinen zu sich nehme.

Vom Essig weiß das Tacuinum Sanitatis: „Der Essig nimmt den Speisen die Hitze, die Feuchtigkeit und die Zähflüssigkeit.“ Wir können davon ausgehen, dass er hier nicht unbedingt aufgrund seiner humoralpathologischen Eigenschaften ausgewählt wurde. Die Verwendung des Essigs erklärt sich vielmehr einige Zeilen weiter: „Man bereitet auch einige Speisen mit Essig, um sie lange aufzubewahren“, heißt es dort. Und tatsächlich ist ja das Einlegen von Gemüse in Essig bis heute eine gängige Form der Konservierung, wenn man beispielsweise an Essiggurken denkt. Die meisten Saucen hatten eine saure Grundsubstanz, die aus der Verwendung von Wein, Essig oder Agraz herrührt. Agraz wird heute unter dem Namen Verjus wiederentdeckt. Dabei handelt es sich um den Presssaft unreif geernteter Trauben.

Mittelalterliche Saucen wurden nicht mit Mehl gebunden, sondern mit Brotkrümeln, Mandeln, zerstoßenen Nüssen oder Eigelb. So gesehen erfüllen die Walnüsse in unserem Rezept eine doppelte Funktion: Sie binden die Sauce, geben ihr Gestalt und sind zudem von ihrer humoralpathologischen Eigenschaft her einer Sauce zu Fischen zuträglich.

Mit der Abstimmung der einzelnen Zutaten von Speisen aufeinander war die Arbeit des gesundheitsbewussten Kochs aber noch nicht getan. Er (oder sie?) musste ja vielmehr auch daran denken, dass die Essenden unterschiedliche Charaktere mit einer je eigenen Mischung von Körpersäften waren. Um dem gerecht zu werden, enthält die „Küchenmeisterei“ von 1490 einen pragmatischen Hinweis:

Dar bey soll gesetzt werden gut salssen od(er) essig in vil kleine schuessellein so ysset ein gast anders dan der ander.

Daneben sollen viele kleine Schüsseln mit guten Salsen oder (Würz-) Essig gestellt werden, so dass jeder Gast unterschiedlich isst. (Übersetzung: Andrea Hofmeister-Winter 2016).

Moderne Umsetzung der Salbei-Nuss-Sauce

Die Salbei-Nuss-Sauce wurde unter anderem in Kochworkshops mit der Neuen Mittelschule Vorau und dem Abteigymnasium Seckau ausprobiert. Bei der Umsetzung verließen sich die Schüler/innen auf ihre Geschmackszellen und weniger auf eine Küchenwaage:

Zutaten:

  • Salbei
  • Zimt
  • geriebene Walnüsse
  • Essig
  • Zucker

Zubereitung:

  1. Frischen Salbei klein hacken.
  2. Zimtrinde und Walnüsse reiben (oder bereits in Pulverform kaufen) und mit Essig vermischen.
  3. Die Sauce mit Wasser verdünnen, und danach etwas ruhen lassen.
  4. Da die Sauce für den modernen Gaumen relativ sauer und bitter schmeckt, empfiehlt sich die Beigabe von Zucker.

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Die Schülerinnen und Schüler des Seckauer Abteigymnasiums haben der Sauce zudem in Form eines gereimten Rezepts ein Denkmal gesetzt:

Willst du Salbei-Nuss-Sauce machen
brauchst du dafür viererlei Sachen:
Zuerst eine welsche Nuss
für den besonderen Genuss.
Bringt herrlichen Salbei
aus dem Kräutergarten herbei.
Nun beginne mit der Mörserei,
und mach‘ es mit Essig zu flüssigem Brei.
Und jetzt ratet mal, was man zum Verfeinern nimmt:
Natürlich: den guten, alten Zimt!

 

Verwendete Literatur

Primärtexte

Das Arzneibuch Ortolfs von Baierland. Auf der Grundlage der Arbeit des von Gundolf Keil geleiteten Teilprojekts des SFB 226 „Wissensvermittelnde und wissensorganisierende Literatur im Mittelalter“ zum Druck gebracht, eingeleitet und kommentiert von Ortrun Riha. Wiesbaden: Reichert 2014. (= Wissensliteratur im Mittelalter. 50.)

Der deutsche ‚Macer‘. Vulgatfassung. Mit einem Abdruck des lateinischen Macer Floridus ‚De viribus herbarum‘. Kritsch herausgegeben von Bernhard Schnell in Zusammenarbeit mit William Crossgrove. Tübingen: Niemeyer 2003. (=Texte und Textgeschichte. 50.)

Johann Wonnecke von Kaub: Gart der Gesuntheit. Mainz: Peter Schöffer 1485. (GW M09766). URL: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0003/bsb00032739/images/

[N.N.] Küchenmeisterei. Nürnberg: Peter Wagner 1490. (GW 16470). URL: http://diglib.hab.de/inkunabeln/276-quod-2/start.htm

Tesch, Anna Maria: Der ‚Admonter Bartholomäus‘ (Cod. 329): Teiledition mit elektronischer Basistransliteration und ‚dynamisch‘ abgeleiteter Lesefassung. Graz: Univ., Dipl.-Arb. 2007.

Zotter, Hans: Das Buch vom gesunden Leben. Die Gesundheitstabellen des Ibn Butlan in der illustrierten deutschen Übertragung des Michael Herr. Nach der bei Hans Schott erschienenen Ausgabe Straßburg 1533. Graz: ADEVA 1988.

Zotter, Hans: Transkription des ‚Kochbuchs‘ der Grazer hauswirtschaftlich-medizinischen Sammlung. URL: http://sosa2.uni-graz.at/sosa/druckschriften/dergedeckteTisch/pdf/ms1609/ms._1609_transkription.pdf

Sekundärliteratur

Hofmeister-Winter, Andrea: Schmackhaft und gesund: Salsen, Senf und Latwerge als Beispiele für humoralmedizinisch wirksame Speisen in der mittelalterlichen Kulinark. In: „Man nehme…“. Kochbücher und ihre Rezeption im Laufe der Jahrhunderte. Beiträge zum Symposion „Man nehme…“. Hrsg. von der Steiermärkischen Landesbibliothek. Graz: Amt der Steiermärkischen Landesregierung, A9: Kulturabteilung, Referat Stmk. Landesbibliothek 2016. (=Veröffentlichungen der Stmk. Landesbibliothek. 40.) S. 137-170.

Holanik, Wolfgang & Zeilinger, Florian: Vorbeugen ist besser als heilen: Fachwissenschaftliche Hintergrundinformationen zum Gespräch von ‚Arzt‘ und ‚Koch‘ über mittelalterliche Ernährung und Gesundheitsvorsorge im Rahmen einer Erlebnisführung auf dem Seckauer Literaturpfad (mit einem Rezeptanhang). In: Kochbuchforschung interdisziplinär. Beiträge der kulinarhistorischen Fachtagungen in Melk 2015 und Seckau 2016. Hrsg. von Andrea Hofmeister-Winter. Graz: Unipress 2017. (= Grazer mediävistische Schriften. Quellen und Studien. 1.) S. 269-289.

van Winter, Johanna Maria: Kochen und Essen im Mittelalter. In: Mensch und Umwelt im Mittelalter. Hrsg. von Bernd Herrmann. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuchverlag 1989, S. 88-100.

Autor: Wolfgang Holanik

 

 

 

 

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