Das folgende Rezept stammt aus der Münchener Handschrift Cgm 415, genauer aus dem púch von den chósten, und wurde mit Schülerinnen der 1. HL-Klasse der HLW Krieglach in einem Schulworkshop zunächst kulinarhistorisch erschlossen und im Anschluss experimentell nachgekocht.
Das frühneuhochdeutsche Rezept aus der Münchener Handschrift:
[M55]Sambusuch: Ez ist pezzer, daz do wirt mit saff von frúchten. Ez ist warm vnd grob und ist gut den vbern vnd wirt ez gedaijt, so neert ez vast, aber sein prot wirt swarleich verczért vnd sein schádlichait wirt gewennt mit starkchem gesotten wein. Vnd wirt also: Leg in ain Reindel oder ain pfannen ain kúchel vnd tú darauf saff von eppfeln oder des gleich oder Sumac oder lemonen vnd kúch daz vncz dazz saff verczért wirt. darnach czewch die pagatsch herawz vnd valtt sew und róst sie in ainer pfannen vnd gib daz.
Zur Erschließung des Rezepts:
Liest man sich den frühneuhochdeutschen Text durch, so wird man auf den ersten Blick nicht ganz schlau aus dem Rezept. (Offengestanden auch auf den zweiten nicht.) Man soll einen Teig – an dieser Stelle verzichtet der frühneuhochdeutsche Text auf eine nähere Charakterisierung, um welche Art Teig es sich hier handeln könnte – in eine Pfanne geben und Apfelsaft, Sumach oder Zitronen darauf verteilen und im Anschluss solange backen, bis der Saft vom Teig aufgesogen wurde. Danach soll man den gebackenen Teig falten und in einer Pfanne rösten.
Im Vergleich mit englischen Übersetzungen von arabischen Parallelrezepten aus dem Kitab al-Tabikh (einem arabischen Kochbuch aus der 1. Hälfte des 13. Jh.) konnten zwar keine Zubereitungsvarianten mit Fruchtsaft ausfindig gemacht werden, dennoch werden süße und pikante Varianten jener Teigtaschen beschrieben. In einem Rezept, genannt Sanbūsaj, werden zwei Füllungen angeführt, einmal aus Fleisch, die andere aus fein gemahlenen Mandeln, Zucker und Rosenwasser oder halwā sābūniyya (bei letzterem handelt es sich um in Zuckersirup gekochte gemahlene Mandeln). Im Gegensatz zu unserem frühneuhochdeutschen Rezept wird in den Parallelrezepten auf die Zubereitung des Gerichts näher eingegangen: So soll man aus dünnem Brot gefüllte Dreiecke machen, diese dann mit (rohem) Teig zukleben und in Sesamöl frittieren.
Der Name des Gerichtes stammt vermutlich aus dem mittelpersischen *sambōsag, von se ‚drei‘ (bezieht sich auf die oben beschriebene dreieckige Form) und *ambōs ‚Brot mit Samen darin‘, bzw. persisch sanbūsa, ‚alles was dreieckig ist‘. Die süße Variante wird hier als al-mukallal (‚gekrönt‘, d.h. glasiert) bezeichnet. In der von uns durchgesehenen Literatur wird erwähnt, dass manche Leute die Teigtaschen nach dem Frittieren in Sirup legen und anschließend in einer mit Moschus und Kampfer gewürzten Staubzuckermischung drehen.

Eine genauere Beschreibung der Fleischfülle findet sich in der Übersetzung eines anderen mittelalterlichen arabischen Kochbuchs von Ibn Sayyar al-Warraq: Man soll Fleisch von der Schulter, dem Rumpf und der Oberschenkelinnenseite sowie Fett aus dem Schafschwanz (vom Fettschwanzschaf) nehmen und kleinschneiden. Zum Fleisch soll man das Weiße von frischen Zwiebeln, Lauchblätter, Koriander, Weinraute und etwas Nana-Minze geben und alles gut vermischen. Gewürzt wird mit murrī (salzige fermentierte Sauce), Korianderkörnern, schwarzem Pfeffer, Zimt, Nelken, aromatischen Gewürzen und Ingwer. Zum Säuern kann außerdem getrocknete Joghurtmolke (masl), getrocknete Buttermilch (rakhbīn), Sumachsaft oder andere saure Zutaten hinzugegeben werden. Man kann auch, wenn gewünscht, getrocknete Früchte oder Nüsse zur Fülle geben, oder die Teigtaschen mit Eiern dekorieren. Die Fülle soll mit etwas Olivenöl gekocht werden und wird als isfīdhbāj (weiß und schlicht) bezeichnet. Wie oben beschrieben, wird auch hier die Fülle in dünne Stücke Brot, genannt ruqāq, gefüllt. Es wird außerdem beschrieben, dass diese pikante Variante in Dreiecken, Quadraten oder Rechtecken geformt oder aber als „Bābakī style“ zubereitet werden kann, in Anlehnung an die Krone des Perserkönigs Bābak. Hierfür schneidet man zunächst Kreise aus einem dünn ausgewalkten Hefeteig, füllt diese anschließend, belegt sie mit einer weiteren Scheibe Hefeteig und drückt die Ränder mit den Fingernägeln ein, um die Taschen auf diese Weise zu verschließen. Die Teigtaschen werden anschließend in sauberem Oliven- oder Sesamöl frittiert und mit einer Sauce aus Essig oder Senf verspeist. Für die pikanten Füllungen gibt es sogar Varianten und so wurde Sanbūsaj beispielsweise mit einer Schrimps-Füllung zubereitet.
Kleine Sanbūsaj wurden frittiert und als naql ‚mazza‘ – quasi als kleine Häppchen – mit Getränken serviert. Die Teigtaschen wurden manchmal jedoch auch zu Halbmonden geformt und in Brühe gekocht, ähnlich den italienischen Ravioli. In dieser Zubereitungsart muss der Teig also eher einem Nudelteig entsprochen haben. Über die Herstellung von Sanbūsaj gibt es sogar ein Gedicht des Sängers Ishāq bin Ibrāhīm al-Mawsilī aus der Zeit des Abbasiden Kalifen Hārūn al-Rashīd (8./9. Jh.), was von der großen Beliebtheit dieser Speise in der arabischen Esskultur zeugt.

Hintergrundwissen zu Grundzutaten und Zubereitungsweisen:
Der Sumach, den man zum Säuern von Speisen verwendet, besteht aus einem Pulver, gemacht aus den Früchten eines bestimmten Sumachbaums, dem Rhus coriaria. Hier ist Vorsicht geboten, denn die Früchte anderer Sumachbäume sind giftig!
In unserem Gericht wird außerdem Murri erwähnt, das in der arabischen Küche sehr gerne eingesetzt wurde. Ursprünglich ist Murri ein vergorener Gerstenbrei, der das orientalische Pendant zum römischen Garum oder Liquamen (vergorene Fischlake) darstellt. Es hat einen säuerlichen Geschmack und diente wohl zur Geschmacksabrundung von Speisen. Unser Kochbuch, das púch von den chósten, hält sogar eine detaillierte Anleitung zur Herstellung von Murri bereit [Rezept-Nr. M36]. Die deutsche Übersetzung schlägt in den Rezepten, wo Murri beigegeben werden soll, ersatzweise Salzwasser vor, einmal wird sogar erklärt, in welchem Verhältnis Salz und Wasser gemischt werden sollen: muri ist ain waßer daz macht man also von vier tailen wassers vnd ainem tail Salczs.
Medizinische Wirkung der Speise:
Bezüglich der medizinischen Wirkung des Gerichts wird auch hier, wie in vielen anderen Rezepttexten aus dem púch von den chósten, zunächst der arabische Name des Gerichts (Sambusuch) genannt, um in weiterer Folge die medizinische Wirkung der Speise inklusive deren humoralpathologischer Einordnung anzuführen. Der Text verrät außerdem, dass es besser sei, wenn die Speise mit dem Saft von Früchten zubereitet werde. Es bleibt jedoch offen, ob sich diese Empfehlung auf den besseren Geschmack oder die positiven Auswirkungen des Gerichts auf die Gesundheit bezieht. Die Primärqualitäten (im Spiegel der mittelalterlichen Diätetik) von Sambusuch sind ‚warm‘ und ‚feucht‘. Es sei außerdem gut für Leute, die sich anstrengen, vermutlich sind hier körperlich schwer arbeitende Menschen gemeint. Das mag darin begründet liegen, dass das Gericht sehr nahrhaft ist. Die Brühe sei aber schwer verdaulich, was – so empfiehlt es der Text – jedoch mit starkem gesottenen Wein neutralisiert werden könne.
Moderne Interpretation unseres frühneuhochdeutschen Rezeptes in den Varianten „pikant“ und „süß“:
a) Pikante Variante (für ca. 8 Personen)
Zutaten:
Für den Teig:
- 500g Mehl
- 1 Ei
- 1 Packung Trockengerm
- 1/4 l Milch
- 8 dag Butter
- Prise Salz
Für die Füllung:
- 2 Hühnerbrüste
- 1 Zwiebel
- 1 Handvoll Mandeln
- Salz, Pfeffer, Gewürze (Koriander, Oregano, Rosmarin, Kreuzkümmel)
- etwas Öl zum Anbraten
Zubereitung:
- Mehl, Salz und Trockengerm zusammenmischen.
- Die Butter erhitzen und in die Milch geben.
- Alles zusammenrühren, bis ein geschmeidiger Teig entsteht. Danach eine halbe Stunde rasten lassen.
- Den aufgegangenen Teig einmal zusammenschlagen und 4 dag schwere Kugeln (ergibt 22 Stk.) formen. Das Ganze zum wiederholten Male gehen lassen.
- Währenddessen der Teig ruht, kann die Fülle vorbereitet werden: Fleisch und Zwiebeln in kleine Würfel schneiden. Die Zwiebeln in etwas Öl glasig dünsten, das Fleisch hinzugeben und gut anbraten. Mit Salz, Pfeffer, Oregano, Rosmarin, Koriander und etwas Kreuzkümmel würzen. Die Mandeln in feine Stifte schneiden und beigeben. Alles gut auskühlen lassen.
- Die abgekühlte Masse in die flachgedrückten Teigkugeln füllen und gut verschließen. Es sollen halbmondartige Teigtaschen entstehen, die anschließend in Öl frittiert werden, bis sie goldbraun sind.
- Zum Anrichten halbieren und mit einem Joghurt-Topfen-Dip (bspw. Sciracz aus unserem arabisch-mittelalterlichen Kochbuch) servieren.
b) Süße Variante mit Nudelteig (für ca. 8 Personen):
Zutaten:
Für den Teig:
- 500g Mehl
- 1 Ei
- 1 EL Öl
- etwas Wasser
- 1 Prise Salz
Für die Füllung:
- 100g gemahlene Mandeln
- 100g Staubzucker
- 1-2 TL Rosenwasser
- etwas Wasser
Zubereitung:
- Mehl mit Ei, Öl, Wasser und einer Prise Salz vermischen und mit dem Mixer (Knethaken) oder den Händen zu einem festen Teig kneten.
- Die Masse in ca. 3 dag schwere Kugeln aufteilen und etwas rasten lassen.
- In der Zwischenzeit die gemahlenen Mandeln mit dem Staubzucker und dem Rosenwasser vermengen, je nach Bedarf etwas Wasser zugeben, bis eine klebrige, aber formbare Masse entsteht. Die Fülle in gleich viele Kugeln wie den Teig aufteilen.
- Den Nudelteig mit einem Nudelholz ausrollen (nicht zu dünn), mit der Mandelmasse füllen und zu Teigtaschen formen. Die Enden wie bei Ravioli mit einer Gabel eindrücken.
- Nudeltaschen für ca. 10 Minuten in kochendes Wasser geben.
- Die fertigen Teigtaschen in etwas Butter schwenken und noch warm servieren. Dazu passt eine fruchtige Sauce.
Da wir uns bzgl. der Art des Teiges nicht ganz sicher waren – in der Sekundärliteratur finden sich nämlich verschiedene Teige –, haben wir noch eine weitere süße Variante mit flüssigem Teig ausprobiert. Dabei handelte es sich um kleine Palatschinken ohne Ei (dafür mit etwas Stärkemehl), die dann gefüllt und frittiert wurden. Man behält hier ein wenig vom Teig zurück, in den man dann die Enden der gefüllten Taschen vor dem Frittieren eintaucht, um sie auf diese Weise zu verschließen. Etwas aufwendiger, aber auch sehr schmackhaft!
Verwendete Literatur:
Arberry, Arthur John (2001): A Baghdad Cookery Book (Kitab al-tabikh). In: Medieval Arab Cookery. Essays and Translations by Maxime Rodinson, A.J. Arberry & Charles Perry. With a foreword by Claudia Roden. Prospect Books, S. 19-90.
Ebn Baithar (1840): Grosse Zusammenstellung über die Kräfte der bekannten einfachen Heil- und Nahrungsmittel. Aus dem Arab. übersetzt von Joseph Sontheimer. Bd. I: Stuttgart: Hallberg.
Friedl, Verena (2013): das púch von den chosten. Dynamische Edition des deutschen Jambonius von Cremona nach Cgm 415. Mit einem Glossar und Zutatenregister. Graz: Univ., MA-Arb.
Heine, Peter (1988): Kulinarische Studien. Untersuchungen zur Kochkunst im arabisch-islamischen Mittelalter. Mit Rezepten. Wiesbaden: Harrassowitz.
Heine, Peter (2017): Köstlicher Orient. Eine Geschichte der Esskultur. 2. Aufl. Berlin: Wagenbach.
Nasrallah, Nawall (2007): Annals of the Caliphs‘ Kitchen. Ibn Sayyar al-Warraq’s Tenth-Century Baghdadi Cookbook. English Translation with Introduction and Glossary. Leiden/Boston: Brill. (= Islamic History and Civilization 70).
Zaouali, Lilia (2009): Medieval Cuisine of the Islamic World. A Concise History with 174 Recipes. Translated by M.B. de Bevoise. Foreword by C. Perry. Berkely, Los Angeles, London: Univ. of California Press.
Zotter, Hans (1988): Das Buch vom gesunden Leben. Die Gesundheitstabellen des Ibn Butlan in der illustrierten deutschen Übertragung des Michael Herr. Nach der bei Hans Schott erschienen Ausgabe Straßburg 1533. Graz: ADEVA
Autorin: Magdalena Laura Halb. Unter Mitwirkung von: Verena Budl, Katharina Galler, Lena Kornsteiner, Leah Moser, Anna Schrotthofer, Theresa Wagner (Schülerinnen der 1.HL-Klasse der HLW Krieglach)
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