Jeder kennt den durchdringend scharf-frischen Geruch von Kampfer, der verstopfte Schnupfennasen augenblicklich befreit. Der Wirkstoff findet sich außerdem in fast jedem Bronchialbalsam und in diversen Gelenksalben, die nach der Einreibung als Zeichen ihrer Wirksamkeit rote Flecken auf der Haut hinterlassen und alsbald die betroffene Körperstelle wohlig wärmend durchdringen, worauf sich der Husten bzw. der Schmerz zu lösen beginnen. Wegen seiner kreislaufanregenden Wirkung zählte Kampfer noch im 19. Jahrhundert zur Grundausstattung jeder Notfallsapotheke – so fand sich in den Handtaschen der feinen Damen stets ein Riechfläschchen, um bei einer drohenden Ohnmacht rasche Hilfe zu bringen. Aber Kampfer kann noch mehr: Er vergrault Ungeziefer jeder Art von Motten bis zu Wühlmäusen und wirkt desinfizierend, weshalb er nicht nur zur Wundbehandlung, sondern auch in Hygienereinigern zum Einsatz kommt.
Noch weitaus umfangreicher waren die Anwendungsmöglichkeiten für Kampfer nach Meinung der antiken und mittelalterlichen Gelehrten: Hildegard von Bingen empfahl campher gegen Fieber und als wunderbares Stärkungsmittel für Kranke. Noch Paracelsus lehrte, dass eine Arznei gegen giftiges Fieber ohne Kampfer einem Soldaten ohne Degen gleiche. In kleinen Beutelchen um den Hals getragen, sollte das Mittel imstande sein, selbst die Pest abzuwehren. Und eine geradezu psychogene Wirkung sollte die Substanz auf denjenigen ausüben, der daran riecht. Das prägten sich jedenfalls angehende Ärzte in der berühmten Medizinuniversität in Salerno mit Hilfe des folgenden Merkspruchs ein: camphora per nares / castrat odore mares, was soviel heißt wie ‚Starker Kampfergeruch / tut der Mannheit Abbruch‘ ‒ ein Rat, den noch im 18. Jahrhundert speziell Geistliche und Nonnen beherzigten.
Aber eignet sich ein Wundermittel wie Kampfer auch als Gewürz? Im Puech von den chösten finden sich mehrere Kochrezepttexte, in denen Kampfer zur Würzung von Speisen verwendet werden soll: Gleich im 3. Rezepttext wird die Herstellung einer Mandelmasse aus geschälten Mandeln, Zucker, Rosenwasser und Kampfer beschrieben, die entweder als süßer Brei vernascht wurde (M3: Mandeln gemacht) oder als Füllung für diverse Teigtaschen (M65: Celebia alia, M68 und 69: Cvsculenecz, gekocht oder gebacken) und geschichtete Aufläufe wie Chataiff (M17) diente.
Im Gewürzregal des Supermarkts wird man Kampfer vergeblich suchen. Man muss ihn sich ‒ wie im Mittelalter ‒ in der Apotheke besorgen. Allerdings ist die innerliche Anwendung heutzutage nicht mehr üblich, denn sie könnte zu Vergiftungserscheinungen führen; eine Dosis von 20g reinen Kampfers kann für einen Erwachsenen sogar tödlich sein. Exakt diese Menge ist in dem kleinen Döschen enthalten, das man im Handel frei erwerben kann – beim Öffnen des Behältnisses stellt sich jedoch sogleich heraus, dass die Gefahr einer Überdosierung praktisch auszuschließen ist, weil allein der starke Geruch augenblicklich den gesunden Instinkt auf den Plan ruft. Daher darf man im Sinne von Paracelsus’ Ausspruch, dass allein die Dosis das Gift macht, den genannten Speisen getrost einen Hauch von Kampfer beifügen, um sich einen einigermaßen authentischen Eindruck von der geschmacklichen Wirkung zu verschaffen.
Was ist Kampfer eigentlich?
Bis weit in die Neuzeit waren sich die Experten nicht einig: „Constantînus spricht, ez sei ein pâmzaher [Baumharz], und Avicenna spricht, ez sei ains pâms saf [Pflanzensaft]“, referiert Konrad von Megenberg in seinem Buch der Natur zwei medizinische Autoritäten. Tatsächlich handelt es sich bei der kristallinisch-krümeligen Substanz, die hinsichtlich ihrer Konsistenz an Firnschnee erinnert, um kein Harz, sondern um ein ätherisches Öl, das schon früh durch ein Destillationsverfahren aus dem Holz und den Blättern des im fernen Osten beheimateten Kampferbaumes (Cinnamomum camphora Lin., ältere Bezeichnung: Laurus camphora) gewonnen wurde, heute jedoch überwiegend synthetisch hergestellt wird. Da er schon bei Zimmertemperatur leicht flüchtig ist, muss Kampfer gut verschlossen aufbewahrt werden ‒ im Mittelalter benützte man dazu Gefäße aus Marmor oder Alabaster. Der lipophile Wirkstoff ist in Wasser nur schwer löslich, gut hingegen in Alkohol und in fetten Ölen. Da Kampfer leicht mit russender Flamme brennt, wurde er bereits im Mittelalter zu pyrotechnischen Zwecken eingesetzt.

Ebenfalls nicht einig war man sich darüber, ob Kampfer eher als kühlend oder als wärmend einzustufen sei: Warmer Natur musste er nach der Logik der antiken Säftelehre schon aufgrund seiner Flüchtigkeit und der spürbar wärmenden Wirkung sein, kalter Natur, weil er angeblich die Manneskraft schwächt. So kommt es, dass die Angaben zur Qualität in historischen medizinischen Schriften recht divergent ausfallen: Sie reichen von ‚heiß und trocken im 2. Grad‘ beim persischen Arztes Ibn Butlan (11. Jh.) bis zu ‚kalt und trocken im 3. Grad‘ bei seinem byzantinischen Kollegen Symeon Seth. In der gedruckten deutschen Übersetzung des Tacuinum sanitatis von 1533, einem Tabellenwerk, in dem auch interessierte Laien die humoralmedizinischen Qualitäten aller Nahrungsmittel und Gewürze nachschlagen konnten, wird Kampfer daher vereinfachend als ‚gemischt heiß und kalt‘ eingestuft.
Bei den Chinesen ist Kampfer schon im 6. Jh. als Riechstoff bezeugt ‒ dort trägt er heute noch das Attribut ‚dragon’s brain perfume‘. Bemerkenswert ist, dass weder Dioscorides noch Galen oder ein anderer der alten griechischen Ärzte vor dem 6. Jh. Kampfer in ihren Schriften erwähnt haben. Den Arabern hingegen war er zu der Zeit bereits bekannt und in der islamischen Kultur genoss der kostbare Stoff später vor allem deshalb hohes Ansehen, weil der Koran in Sure 76,5 den Frommen im Paradies zur Labung mit Kampfer gewürztes Wasser in Aussicht stellt. Kein Wunder also, dass die Araber schon im Diesseits vielfältigen Gebrauch von der begehrten Substanz machten, und ihnen ist es auch zu verdanken, dass die Kenntnis von Kampfer als Heilmittel im Mittelalter nach Europa gelangte, wo es Ende des 11. Jhs. in die Arzneimittellehre der Salernitanischen Schule aufgenommen wurde. Dass Marco Polo (13. Jh.) in seinem Reisebericht Kampfer als absolutes Luxus-Handelsgut erwähnt ‒ der beste stamme aus Indonesien und werde mit Gold aufgewogen ‒, mag den Absatz der begehrten Substanz im Okzident zusätzlich angekurbelt haben.

Kampfer in der Kulinarik
Von seiner Ursprungsheimat Indonesien aus hatte sich die Bekanntheit von Kampfer schon seit altägyptischer Zeit nach Indien und in den mittleren Osten ausgebreitet. In Indien wird Kampfer heute noch in einigen Süßspeisen verwendet. Am Hof des persischen Schahs soll Kampfer zusammen mit den nicht minder exklusiven Substanzen Ambra und Moschus von den Köchen geradezu verschwenderisch eingesetzt worden sein. Auch im China des 9. Jhs. ist Kampfer als Gewürz belegt, und zwar sei damit die Lieblingsspeise des chinesischen Kaisersohns Jing Zong aus der Tang-Dynastie verfeinert worden, ein gekühlter (aber nicht gefrorener) Milchreis, den man ihm wegen des kühlenden Effekts von Kampfer speziell an heißen Sommertagen zu servieren pflegte ‒ den Namen des Gerichts könnte man mit ‚Frischer Wind‘ übersetzen. Auch in der orientalischen Küche soll Kampfer als Gewürz sehr beliebt gewesen sein, diese Form der Verwendung konnte sich aber in der abendländischen Kulinarik offenbar nicht durchsetzen.
Als diätetisches Kochbuch zeichnet sich das Puech von den chösten durch die Besonderheit aus, dass jedem Rezept Empfehlungen beigefügt sind, bei welchen Beschwerden der Genuss der Speise Linderung verspricht, welche negativen Wirkungen ggf. zu erwarten sind und mit welchen Zutaten oder komplementären Speisen eine Gesundheitsschädigung verhindert werden kann. Man darf aber nicht vergessen, dass es sich hierbei stets um Gesamteinschätzungen der Speisen handelt, sodass nicht exakt auszumachen ist, welcher Anteil an der Wirkung der Gewürzbeigabe Kampfer zukommt. Der mittelalterliche (Leib-)Koch trug eine hohe Verantwortung und musste über ein profundes Gesundheitswissen und viel Erfahrung verfügen, um die Gerichte für seinen Herrn und dessen Gäste perfekt zu ‚temperieren‘. Diesen Wissenshintergrund gilt es bei historischen Kochrezepttexten stets mit zu bedenken, aber auch darauf gefasst zu sein, dass man hin und wieder auf einen Überlieferungsfehler stoßen kann: Ein solcher dürfte wohl im Rezept für Chataiff vorliegen, wenn dort die relative Mengenangabe für das Gewürz Kampfer doppelt so hoch veranschlagt wird wie jede der drei Hauptzutaten.

Nim ainn tail prot vn(d) ainen tail czukch(er) vn(d) ainen tail ezzigs vnd czeslag(e)n ay(er) vn(d) von mandel vnd nuß(e)n schale(n) geproch(e)n vn(d) gerainigt vn(d) gemisscht mit czuker vn(d) mit rosenwa<sse>rs ain wenig vn(d) mit ij tail camphor.
Nimm 1 Teil (Weiß-)Brot und 1 Teil Zucker und 1 Teil Essig und Eier und geschälte und gereinigte Mandeln und Nüsse und vermische das mit Zucker und ein wenig Rosenwasser und mit 2 Teilen Kampfer.
In allen übrigen bekannten Rezepten aus dem Münchener Arzneibuch und aus dessen lateinischer Vorlage ist nämlich stets nur von ‚wenig Kampfer‘ die Rede und in einer arabischen Überlieferung des Minhāg al-bayān von Ibn Gazla findet sich sogar eine ausdrückliche Warnung, Kampfer als Gewürz sehr zurückhaltend einzusetzen, weil sonst Ekel hervorgerufen werde. Diesen Grundsatz beherzigend darf man also ruhigen Gewissens wagen, dem eingangs erwähnten Mandelkonfekt und dem Pfannkuchenauflauf Chataiff einen Hauch von Kampfer zu verleihen ‒ für ein exotisches Geschmackserlebnis.
Autorin: Andrea Hofmeister
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