Buchpräsentation: Kochbuchforschung interdisziplinär

Die Erforschung der menschlichen Ernährung und Speisekultur von den Anfängen bis zur Gegenwart ist ein Dauerbrenner in vielen universitären Fächern und darüber hinaus ein Thema, das auch in der breiten Öffentlichkeit auf reges Interesse stößt. Der von Andrea Hofmeister herausgegebene Band versammelt die Ergebnisse zweier interdisziplinärer Fachtagungen der Plattform kochbuchforschung.org in Melk 2016 und Seckau 2017 (Informationen zum Buch auf der Verlags-Homepage: https://universitaetsverlag.uni-graz.at/de/katalog/geisteswissenschaften/).
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Im Anschluss an die Buch­präsen­tation im Offenen Labor der Universität Graz fand vor dem zahlreich erschienenen Publikum eine Kochvorführung und Verkostung von Rezepten statt, die im Band nicht nur analysiert und interpretiert werden, sondern mit abgedruckt sind und auf diese Weise die Leser*innen zum Weiterforschen und Experimentieren einladen. Die Zubereitung der Köstlichkeiten besorgte u.a. das Team des Sparkling Science-Projekts Nahrhaftes Mittelalter. Historische Kulinarik und Diätetik zwischen Orient und Okzident. Kulturgeschichtlich und küchentechnisch kommentiert wurden die Rezepte jeweils von den Autor*innen der Beiträge höchstpersönlich.

Der gastrosophische Streifzug  durch die Epochen der Kulinarik spannte einen Bogen von der Antike über das  Mittelalter und die Barockzeit bis zur Moderne: Wolfgang Holanik präsentierte mittelalterliche Quittensalse nach einer Heidelberger Überlieferung des 15. Jahrhunderts (im Band nachzulesen auf S. 285f.) mit frittierten Fleischbällchen (ebenfalls nach einem mittelalterlichen Rezept)  und/oder Weißbrot zu Dippen. Die Basis dafür, nach einem authentischen Verfahren in glasierten Tontöpfchen eingemachtes Fruchtmark (‚Latwerge‘), hatten Schüler*innen der HLW Schrödinger im Rahmen der Forschungstage vom 23.‒25. Oktober vorbereitet; nun musste dieses Halbfertigprodukt nur noch mit Wein verdünnt und mit Gewürzen ‚temperiert‘ werden, um eine servierfertige ‚Salse‘ zu erhalten. Auf diese Weise waren bereits mittelalterliche Köche in der Lage, das ganze Jahr über fruchtige Saucen zu gebratenem Fleisch oder Fisch und Schmalzgebäck zu zaubern.

Als ‚Zwischengang‘ wurde von Simon Edlmayr ein barockes Fenchelsorbet nach dem Salzburger Limonadenkochbuch (um 1700) kredenzt (S. 233f.), wie es gerne im Rahmen von ausgedehnten Banketten serviert wurde, um den Magen zu erfrischen und für die Aufnahme weiterer Speisen bereit zu machen. Schon in der Antike unter gewaltigem Aufwand hergestellt – schließlich mussten dazu im Winter Eisblöcke von den Bergen herbeigeschafft und in unterirdischen Kellern gelagert werden –, geriet diese kühle Köstlichkeit im europäischen Mittelalter völlig in Vergessenheit. Erst durch die Araber wurde ‚Sherbet‘ auch im Abendland wiederentdeckt und in der Barockzeit zu einem Fixpunkt der Festtagsküche.

Aus der molekularen Küche stammen die Kreationen des Schweizer Starkochs Rolf Caviezel, Camembert in Schnittlauchöl im Lebkuchensee mit Kresse und Pfeffer Air (S. 302). Die hightech-unterstützte Spitzengastronomie des 21. Jhs. legt ihr Hauptaugenmerk auf die (mitunter sehr ungewöhnliche) Kombination von Zutaten (‚Foodpairing‘), um auf diese Weise die Geschmacksrezeptoren maximal anzusprechen. Der Molekularbiologe Fritz Treiber legte höchstpersönlich Hand an, um Gaumen und Augen der Gäste mit einem außergewöhnlichen Geschmackserlebnis zu überraschen.

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Zum Abschluss wurde ein Gläschen Hypocras nach einer französischen Handschrift des späten 14. Jhs. kredenzt (S. 283f.). Den maßvollen Genuss von Gewürzwein als Verdauungshilfe propagierten bereits die medizinischen Autoritäten der Antike – die Bezeichnung für diesen gewürzten Rotwein soll sogar auf den griechischen Arzt Hippokrates zurückgehen –, denn gemäß der Viersäftelehre wird dem Körper dadurch Wärme zugeführt, die der Magen zur Verdauung eines üppigen Mahls benötigt.

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Autorin: Andrea Hofmeister

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