Ase – mehr als nur Wasser und Mehl

Ase, das 6. Rezept in unserem púch von den chósten, ist eines der wenigen Gerichte, bei denen wir nicht auf Parallelrezepte aus dem arabischen Raum zurückgreifen können. Da zudem die lateinische Überlieferung unserer Sammlung, der liber de ferculis, erst mit dem 30. Rezept einsetzt, waren wir bei der kulinarischen Umsetzung mit dem frühneuhochdeutschen Text auf uns alleine gestellt.

Die Grundzutat für Ase ist Mehl, das im arabischen Raum vor allem aus Gerste, Weizen, Reis und Hirse hergestellt wurde. Unser Text spricht von „semidaria daz ist allerschónstez mél“, womit samīd gemeint sein dürfte, eine arabische Bezeichnung für besonders fein gesiebte Mehlqualität von leuchtend weißer Farbe. Mehl wurde – damals wie heute – auf unterschiedlichste Art und Weise in der Küche verwendet: Neben Brot- und Gebäckvarianten kamen im arabischen Mittelalter auch Teigtaschen und Nudeln auf den Tisch. Darüber hinaus wurde Mehl zur Herstellung von Tränken, Suppen, Pudding und Brei verwendet.

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Neben Mehl und Wasser werden im Rezept Zucker und Mandelöl sowie Ziegenmilch als Alternative zu Wasser als Zutaten genannt. Was das Verhältnis von Mehl und Flüssigkeit anbelangt, enthält der frühneuhochdeutsche Text zwar Mengenangaben, diese sind aber – wie wir schon aus Erfahrungen mit anderen Rezepten wissen – eher mit Vorsicht zu genießen. Wir wissen also nicht genau, welche Konsistenz für die fertige Speise beabsichtigt ist, die man kochen soll, bis „ez dikch wirt“.

Auf Spurensuche…
Auf der Suche nach der Herkunft von Ase haben wir uns in der Literatur aus dem Bereich der arabischen Kulinarik umgesehen und sind auf das unserem Gericht ähnlich klingende Hasā gestoßen. Das wäre nicht unpassend, denn Hasā ist ein Überbegriff für Mehlsuppen auf Wasser- oder Milchbasis, die sowohl dünnflüssig als auch breiartig zubereitet werden konnten. Da es sich hierbei um eine eher schlichte und nicht sehr noble Speise handelt, hat sie kaum Eingang in die großen Kochrezeptsammlungen gefunden, die im arabischen Raum ähnlich wie im europäischen Mittelalter der herrschaftlichen Küche gewidmet waren. Was allerdings gegen eine mögliche Verwandtschaft von Ase und Hasā spricht, ist die große Menge an Zucker, die eher nicht in den Mehlsuppen vorgekommen sein dürfte.

Eher süß und ebenfalls vom Klang sowie von den Grundzutaten her ähnlich ist ein bereits in vorislamischer Zeit im arabischen Raum weit verbreitetes Gericht namens Asīda, das wahlweise als dickflüssige Suppe, Pudding, Porridge oder Brei beschrieben wird und mit Zucker, Honig oder Datteln gesüßt werden konnte. Leider findet sich auch hier kein Rezept, das eine Verwandtschaft mit unserer frühneuhochdeutschen Fassung zweifelsfrei bestätigen würde. Weitere arabische Wörter, die eine etymologische Nähe zum gesuchten (vermutlich stark verballhornten) Namen Ase vermuten lassen, sind Ǧašīš (das einen aus Hartweizenmehl, das an mancher Stelle mit samīd gleichgesetzt wird, hergestellten Brei bezeichnet) und dašīš für Weizenschrot, allerdings führen uns auch hier die Recherchen vorerst nicht weiter.

 

Mittelalterliches Rezept mit Übersetzung:

Ase wirt also Nim czwai pfunt waßers vnd lazz daz sieden vnd wirff darauf semidaria daz ist allerschónstez mél ij dragma dragma ist swár an dem gewicht als ain gulden vnd meng daz oder missch ez vnd lazz daz kochen vnd aber wirff darin des aller schónsten meels funff dragma vnd weizzes czukchers czehen dragma vnd mandel ól ain dragma vnd etlichew tún gaizzmilch darczu fúr waßzer vnd lazz daz sieden vncz daz ez dikch wirt Ez ist gut fur den hústen vnd der lungel chrankchait vnd die do plút awsreichsent aber ez schatt den den die rór czu der lungel verschoppt ist und ist gút fur die strawchen daz sie nicht auf daz hercz tritt vnd sein schad wirt abgenomen mit gemachtem Ingber darnach geßen.

Ase wird folgendermaßen: Nimm zwei Pfund Wasser und lass es sieden und wirf darauf zwei Drachmen Semidaria, das ist das allerfeinste Mehl ‒ [eine] Drachme ist gleich schwer wie ein Gulden ‒ und vermenge das oder vermische es und lass es kochen. Und wirf wieder vom allerfeinsten Mehl fünf Drachmen hinein und zehn Drachmen weißen Zucker und eine Drachme Mandelöl, und etliche [Köche] geben Ziegenmilch dazu statt Wasser, und lass das kochen, bis es dick wird. Es ist gut für den Husten und die Krankheit der Lunge und [für jene], die Blut aushusten, aber es schadet denen, denen die Luftröhre belegt ist, und es ist gut bei Erkältung, dass diese nicht auf das Herz geht, und seine Schädlichkeit wird aufgehoben mit eingelegtem Ingwer, der danach gegessen wird.

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Moderne Interpretation des Gerichtes
Im Rahmen eines Kochworkshops an der HLW Krieglach haben wir uns schließlich an die praktische Umsetzung von Ase gewagt. Anstatt uns zwischen Wasser und Ziegenmilch zu entscheiden, haben wir beides miteinander kombiniert. Neben den im mittelalterlichen Text erwähnten Zutaten (Mehl, Wasser, Milch, Mandelöl und Zucker) wurde ein wenig Zimt hinzugefügt. Den Ingwer, der zur Abmilderung der Schadwirkungen eigentlich nach dem Verzehr von Ase gegessen werden soll, haben wir als Dekoration verwendet und in geringer Menge gleich direkt dem Mehlbrei beigemengt. Wer den Brei ganz authentisch nach der frühneuhochdeutschen Vorlage zubereiten möchte, kann diese beiden Ingredienzen natürlich auch weglassen.

Zutaten (für ca. 10 Portionen):
 900 ml Wasser
 180 g Mehl
 300 g Zucker
 100 ml Ziegenmilch
 1 EL Mandelöl
 1 EL Zimt gemahlen
 1 TL Ingwer feingehackt
 etwas Ingwer und Zimt zum Dekorieren

Zubereitung:
Wasser aufkochen und zunächst 30 g Mehl einrühren, danach das restliche Mehl langsam unterrühren und zu einem Brei einkochen lassen.
Ziegenmilch, Mandelöl, Zimt und Zucker hinzufügen.
Wenn beim Kochen Mehlklümpchen entstehen, die Masse durch ein Sieb streichen, so entsteht ein sämiger Brei. (Alternativ, aber nicht ganz so rezeptgetreu, kann man das Mehl auch ins kalte Wasser einrühren)
Bis zum Anrichten warmhalten und zum Servieren mit gehacktem Ingwer und Zimt bestreuen.

Geschmacklich ähnelt das Endprodukt einem Grießkoch, das vor allem durch die Zugabe von Mandelöl und Ingwer etwas aufgepeppt wurde. Insgesamt waren die Testesserinnen und Testesser allesamt positiv überrascht, vor allem die sämige Konsistenz und angenehme Textur machten Ase zu einer ganz und gar nicht langweiligen Ergänzung auf unserem mittelalterlich-orientalischen Süßspeisenbuffet.

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Die medizinische Seite von Ase

Im Mittelalter wurde Ase jedoch vermutlich nicht ausschließlich wegen seines Wohlgeschmacks geschätzt, sondern auch ob seiner Heilkräfte verzehrt. Unser frühneuhochdeutsches Rezept nennt am Ende eine Reihe von positiven Wirkungen: So soll Ase einen wohltuenden Einfluss bei Husten, Lungenkrankheiten, blutigem Auswurf und Erkältungen haben. Aufpassen müssten allerdings jene, deren Luftröhre verschleimt ist, für sie kann Ase schädlich sein. Etwaigen Nebenwirkungen lasse sich mit Ingwer vorbeugen, der im Anschluss gegessen werden sollte.

Da es sich bei der Vorlage zu unserem púch von den chósten, dem Minhaj-al-Bayan, um eine arabische Arzneimittelsammlung handelt, in der sich auch Kochrezepte mitsamt ihrer diätetischen Wirkung finden, haben wir bei unserer Recherche nach den Wurzeln von Ase auch die medizinische Literatur mit einbezogen. In Ebn Baithars Abhandlung über die einfachen Heil- und Nahrungsmittel aus dem 13. Jahrhundert finden sich im Abschnitt über Weizenmehl vergleichbare Wirkungen, wie sie unserem Gericht zugesprochen werden: Weizenmehl, so lange gekocht, dass es eine leimartige Konsistenz erreicht, eigne sich gut als Sirup gegen Husten und Bluthusten. Mit Wasser, Minze und Rahm wirke es wohltuend bei Husten und Heiserkeit. Auch das Tacuinum sanitatis (die Schachtafeln der Gesundheit des Ibn Butlan aus dem 11. Jahrhundert) empfiehlt – analog zu unserem Rezept – Weizen, mit Zucker und Mandelöl zubereitet, bei Brustkrankheiten.

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Leider stießen wir bei unseren Recherchen nirgends auf Textstellen, die eine direkte Kombination oder Wechselwirkung von Weizen(-brei) und Ingwer thematisieren, jedoch wird Ingwer im Tacuinum sanitatis mehrfach gegen Verdickendes oder Verstopfendes empfohlen, was zur „belegten Luftröhre“ passen würde. In Medizinbüchern wie dem Admonter Bartholomäus wird der Ingwer als schleimlösend und brustreinigend beschrieben, auch das Breslauer Arzneibuch hält ihn für wirksam bei „Heiserkeit, die sich aufgrund von Schleimablagerung in der Luftröhre“ bildet. In unserem Rezept ist von „gemachtem Ingwer“ die Rede, womit in dicken Honig- oder Zuckersirup eingelegte Ingwerstücke gemeint sein dürften, wie sie nicht nur in der arabischen Küche vielfach zum Einsatz kam. Süß eingelegter Ingwer wird im „Buch der Nahrungsmittel und Getränke“, dem Kitāb al-Aġiya wa-l-ašriba, einem ernährungsmedizinischen Lexikon aus der Zeit um 1200, als stark erhitzend beschrieben, er wirke verdauungsfördernd und wiederum schleimlösend.

Auch wenn wir also die Herkunft unseres Gerichts Ase nicht zweifelsfrei belegen konnten, fügt sich das in unserer Rezeptsammlung beschriebene Gericht in seiner frühneuhochdeutschen Fassung in den diätetischen Wissenstand der Zeit und ist – so viel wissen wir nun zumindest – auch geeignet, den modernen Gaumen zu erfreuen.

 

Autorin: Ylva Schwinghammer

Auf Basis der Vorarbeiten von: Maria Waidacher, Ines Pulverer und Silvia Wetzlhütter (HLW Krieglach)

 

Quellen

Grosse Zusammenstellung über die Kräfte der bekannten einfachen Heil- und Nahrungsmittel von Ebn Baithar. Aus dem Arabischen übersetzt von Joseph Sontheimer. Bd. 1: Stuttgart: Hallberg 1840; Bd. 2: Stuttgart: Hallberg 1842.

Das Buch vom gesunden Leben. Die Gesundheitstabellen des Ibn Butlan in der illustrierten deutschen Übertragung des Michael Herr. Nach der bei Hans Schott erschienen Ausgabe Straßburg 1533. Hrsg. von Hans Zotter. Graz: ADEVA 1988.

Heine, Peter (1988): Kulinarische Studien. Untersuchungen zur Kochkunst im arabisch-islamischen Mittelalter. Mit Rezepten. Wiesbaden: Harrassowitz.

Das Breslauer Arzneibuch. Hrsg. von C. Külz und E. Külz-Trosse. Dresden: Friedrich Marscher 1908. Verena Friedl: daz púch von den chósten. Dynamische Edition des deutschen Jamboninus von Cremona nach Cgm 415. Mit einem Glossar und Zutatenregister. Graz: Univ., MA-Arb. 2013.

Nasrallah, Nawal (2007): Annals of the Caliphs‘ Kitchen. Ibn Sayyar al-Warraq’s Tenth-Century Baghdadi Cookbook. English Translation with Introduction and Glossary. Leiden/Boston: Brill. (= Islamic History and Civilization 70).

Nahrungsmittel in der arabischen Medizin. Das Kitāb al-Aġḏiya wa-l-ašriba des Naǧīb ad-Dīn as-Samarqandī. Edition, Übersetzung und Kontext von Juliane Müller. Leiden/Boston: Brill 2017. (= Islamic Philosophy, Theology and Science. texts and studies. Vol. 101)

Perry, Charles (2005): A Baghdad Cookery Book. The Book of Dishes (Kitab al-Tabikh). Muhammad b. al-Hasan b. Muhamma b. al-Karim, the scribe of Baghdad. Prospect Books 2005. (= Petit Propos Culinaires. 79.)

Perry, Charles (online): An Anonymous Andalusian Cookbook of the Thirteenth Century. URL: http://www.daviddfriedman.com/Medieval/Cookbooks/Andalusian/andalusian_contents.htm [11.04.2018].

Anna M. Tesch: Der „Admonter Bartholomäus“ (Cod. 329): Teiledition mit elektronischer Basistransliteration und ‚dynamisch’ abgeleiteter Lesefassung. Graz, Dipl.-Arb. 2007.)

Zaouali, Lilia (2009): Medieval Cuisine of the Islamic World. A Concise History with 174 Recipes. Translated by M.B. de Bevoise. Foreword by C. Perry. Berkely, Los Angeles, London: Univ. of California Press.

Eine Antwort zu „Ase – mehr als nur Wasser und Mehl”.

  1. Also zum Thema Parallelrezepte (ich arbeite selbst mit der englischen Übersetzung eines arabischen Kochbuch aus dem 13. Jh und bin immer wieder erstaunt, wie viel sich davon heute noch in der regulären pan-arabischen Küche wiederfindet): Mein erster Gedanke war Halva. In einem sehr traditionellen kurdischen Rezeptbuch, das mit den sehr kargen Gegebenheiten arbeitet, bin ich vor Jahren auf Mehl-Halva gestoßen. Im türkischen Raum (ich spreche die Sprache nicht) heißt Mehl-Halva glaube ich „Un Helvasi“, im Netz zu findende Sprachbeispiele klingen eher wie „Helvase“. Das ist jetzt allerdings wirklich seeehr weit herbeikonstruiert, aber ich weiß aus dem Germanistikstudium wie Wortem sich abschleifen und verändern können. Diese Version lässt sich dann übrigens wie Konfekt in kleinen Portionen/Medikamentendosen essen und erklärt dann in dieser Konsistenz auch den Hinweis auf das Verkleben der Luftröhre.
    Was auch für diese Version spräche, ist der hohe Einsatz von Zucker, der ja recht teuer war? Als Halva werden kleinere Mengen konsumiert, das Produkt ist länger haltbar. Der Brei hingegen muss rasch verzehrt werden.
    Und wäre bei samid nicht auch durchaus auch Grieß in der Deutung möglich? Dann wäre Grießbrei doch wieder eine Möglichkeit, aber Grieß-Halva eben auch.

    Liebe Grüße

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