Maghmuma: Mittelalterliches „Moussaka“

Das Rezept „Maghmuma“ – in anderen Rezepten auch „Magmoma“ oder „al Maghmuma“ genannt – war in der Erschließung zunächst mit einigen Fragezeichen behaftet, da der Kochrezepttext, wie ihn die Handschrift Cgm 415 überliefert, teilweise Lücken in der Kochanleitung aufweist. Nach eingehender Recherche glauben wir nun, es mit einer Art „Arabischem Moussaka“ zu tun zu haben, das unter Umständen ein Vorläufer der griechischen Nationalspeise sein könnte.

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Das folgende Rezept aus unserem mittelalterlichen Kochbuch, dem púch von den chósten, wurde mit der 1. HL-Klasse der HLW Krieglach erschlossen und experimentell nachgekocht:

[M42] MAgmoma ist gleicher wirm vnd trúkchne vnd ist gut dem magen flegmatico wann er sneitt in auf vnd schatt dem haubt vnd den adern und der prúst vnd dem Ingwaid vnd macht vil plúts vnd vóllt daz haubt mit dem scharffen dampf vnd sein schádlichait benympt man mit meelebia und wirt also Sneit flaissch zu stúkchen vnd sneit melongias auch zu stukchen vnd thu die schalen dauon [Lücke] vnd nym von ainem castron daz vaizt vom czagel vnd tu daz in ainem háfen vntten vnd oben vnd lass daz also koch vncz daz ez vaizzt auz gesewtt darnach so missch ez vnd tú darczu ain wenig ezzigs mit gesalczen wazzer daz haizt muri vnd missch darczu ain wenig saffran dermit demselben prod oder suppen czetriben seý darnach so vermach den hafen oben mit tayg vnd laz ez kochen vnd gib daz wém du wilt

Das Rezept beginnt klassisch mit den humoralpathologischen bzw. diätetischen Eigenschaften der Speise und führt in weiterer Folge die medizinischen Auswirkungen an: So ist das Gericht gleichermaßen ‚warm‘ und ‚trocken‘ und somit gut für den phlegmatischen, also schleimdominierten Magen. In weiterer Folge werden die Nebenwirkungen der Speise bspw. für Kopf, Adern, Brust und Eingeweide aufgeführt. Um diese Nebenwirkungen zu vermeiden, wird ein Gericht – Meelebia [Rezept-Nr. M39 in unserer Münchener Handschrift 415] – genannt, das die Schädlichkeit der Speise neutralisieren soll. Bei Meelebia handelt es sich um eine Hühnerspeise, bei der Hühnerfleisch klein gehackt bzw. unter Umständen auch zerfasert und dann mit Reismehl in einer Hühnerbrühe gekocht werden soll und die – je nach Wunsch – auch süß mit Zucker zubereitet werden kann. (Diesem Gericht werden die Eigenschaften ‚warm‘ und ‚feucht‘ zugesprochen, was wiederum dem Choleriker schadet.)

Nach den diätetisch-medizinischen Indikationen beginnt die Kochanleitung: Ein Blick auf die erwähnten Zutaten lässt zunächst Fleisch erkennen. Hierbei wird vermutlich Rindfleisch gemeint sein, da im Kochbuch die auch heute noch geltende Differenzierung zwischen Fleisch und Geflügel vorgenommen wird – Hühnerfleisch wird im púch von den chósten demnach auch meist als solches bezeichnet. Des Weiteren werden Melanzani, von einem castron das vaizt vom czagl – also das Fett eines Hammelschwanzes –, eine Brühe aus Essig und Murri sowie Safran angeführt. Murri wird im Rezept als gesalzenes Wasser beschrieben, eine kurze Erläuterung dieser Würzsoße findet sich weiter unten in diesem Beitrag.

Folgt man der Kochanleitung im púch von den chósten, soll zunächst das Fleisch in Stücke geschnitten und die Melanzani – nach Entfernen der Haut – zerkleinert werden. Anschließend soll das Fett eines Hammelschwanzes in einen Topf gegeben und so lange gekocht werden, bis das Fett geschmolzen ist. Daraufhin soll alles vermischt werden und nach der Beigabe von Essig und Murri soll dieser Brühe Safran beigemengt bzw. darin aufgelöst werden. Der Topf wird daraufhin mit Teig verschlossen. Mit fehlendem Verweis auf die Kochzeit soll die Speise nun – vermutlich auf einer Flamme – gargekocht werden. Das Rezept schließt mit der Aufforderung, es zu servieren. An keiner Stelle wird die tatsächliche Beigabe von Fleisch erwähnt; vielmehr irritiert die Aufforderung, das Fett des Hammelschwanzes oben und unten im Topf zu verteilen.

Um unserem Gericht näher auf den Grund zu fühlen, haben wir uns noch andere Maghmuma-Rezepte aus dem arabischen Raum angesehen: Bezüglich der Zutaten zeigte sich hier, dass das typische arabische Maghmuma wohl mit Melanzani und – zusätzlich – Zwiebel (manchmal außerdem mit Karotten) zubereitet wurde. Es gibt aber auch Varianten, die beispielsweise eine Zubereitung mit Spargel empfehlen. Wird in unserem Rezept völlig auf die Beigabe von Gewürzen (außer Safran) verzichtet, so weisen die Parallel-Rezepte eine Fülle an Würzstoffen auf. Genannt werden zum Beispiel Koriander, Kreuzkümmel, Pfeffer, Zimt, Ingwer und Salz. Am aufschlussreichsten waren die Vergleichsrezepte jedoch hinsichtlich der Zubereitungsart: Im überwiegenden Teil der Rezepte erfährt man – im Gegensatz zu unserem frühneuhochdeutschen Kochrezepttext –, dass Fleisch, Gemüse und Gewürze abwechselnd geschichtet werden sollen. Diese Schichtung wird solange wiederholt, bis das Gericht eine Höhe von vier bis fünf Fingerbreiten erreicht. Man erhält außerdem den Hinweis, dass das Fleisch und die Melanzani in dünne Scheiben (statt in Stücke) geschnitten werden sollen; bezüglich der Vorbereitung der Melanzani erfährt man überdies, dass diese im Vorfeld nicht separat gargekocht werden müssen. Als Variante, um den Topf zu verschließen, wird in einem Rezept Brot genannt. Das Gericht soll in einer speziellen Schüssel (ghadara) serviert werden.

Auf Basis der Zubereitungsarten in den Parallelrezepten glauben wir, dass wir es hier mit der arabischen Variante bzw. mit dem Vorläufer des griechischen Moussaka zu tun haben. Das Gericht „Moussaka“ stammt ursprünglich aus dem arabischen Raum und hat seinen Weg über die Türkei schließlich nach Griechenland gefunden.

Bei unserer Recherche und Vorbereitung für das experimentelle Nachkochen haben wir uns außerdem über einige Zutaten unseres Rezeptes näher informiert: Melanzani (Auberginen) bilden neben Fleisch die Hauptzutat unseres Gerichtes. Viele arabische Quellen schweigen bezüglich der Beigabe von Gemüse, getrockneten Hülsenfrüchten oder Pilzen. Das arabische Sprichwort „Ein Tisch ohne Gemüse ist wie ein alter Mann ohne Verstand“ scheint uns hierbei jedoch eines Besseren zu belehren, ähnliches verrät der Blick in mittelalterliche Kochbücher. Das Fehlen dieser Zutaten in vielen Quellen könnte dadurch bedingt sein, dass die Beigabe jener Zutaten als nahezu selbstverständlich galt und somit nicht ausdrücklich erwähnt werden musste. Gemüse wurde dabei vielfältig in der Küche eingesetzt, so zum Beispiel als Geschmacksbringer zu Fleisch. Es wurde gedünstet, geschmort und mit Gewürzen abgeschmeckt. Vielfach wurden die Zutaten auch in Essig eingelegt und süßsauer zubereitet. In der arabischen Küche erfreuten sich dabei neben Bohnen besonders Melanzani hoher Beliebtheit: Der bittere Saft dieser Frucht, der in arabischen Kochbüchern oftmals als ‚schwarzes Wasser‘ bezeichnet wird, wurde vor dem Kochen meist durch die Zugabe von Salz entfernt. Obwohl die Melanzani auf diese Weise vermehrt ihren – ohnehin wenig ausgeprägten Eigengeschmack – eingebüßt haben, wurden sie als Würzmittel aufgefasst: Durch die besondere Konsistenz des Fruchtfleisches nehmen sie nämlich die Aromen anderer Gewürze besonders gut auf und fungieren auf diese Weise als Geschmacksträger. Da Melanzani eine längere Garzeit haben, wurden sie oftmals separat gekocht; dennoch gibt es – wie beispielsweise bei unserem „Maghmuma“ – auch Rezepte, wo die Beigabe bzw. das Mitkochen von Melanzani von Beginn an erwünscht war.

In unserem Gericht wird außerdem Murri erwähnt. Diese Zutat wurde in der arabischen Küche sehr gerne eingesetzt. Sie hat einen säuerlichen Geschmack und diente wohl zur Geschmacksabrundung von Speisen. Ursprünglich ist Murri ein vergorener Gerstenbrei, der das orientalische Pendant zum römischen Garum oder Liquamen (vergorene Fischlake) darstellt. Unser Kochbuch, das púch von den chósten, hält sogar eine detaillierte Anleitung zur Herstellung von Murri bereit [Rezept-Nr. M36]. Die deutsche Übersetzung schlägt in den Rezepten, wo Murri beigegeben werden soll, ersatzweise Salzwasser vor, einmal wird sogar erklärt, in welchem Verhältnis Salz und Wasser gemischt werden sollen: muri ist ain waßer daz macht man also von vier tailen wassers vnd ainem tail Salczs.

Die als schmackhaft befundene moderne Umsetzung des Gerichts:

Zutaten (für eine mittelgroße Auflaufform – ca. 6 (hungrige) Personen):

  • 500g Rinderfaschiertes (oder gemischtes Faschiertes)
  • 4 Melanzani
  • 1 Zwiebel
  • Butter (oder: Olivenöl, Speiseöl)
  • Safran
  • Essig (Sorte je nach gewünschter Intensität; wir haben weißen Balsamicoessig verwendet)
  • Salz
  • Pfeffer
  • Kreuzkümmel
  • Koriander
  • Zimt

Zubereitung:

  1. Das Rohr auf 180°C vorheizen
  2. Melanzani schälen – am besten mit einem Messer
  3. Melanzani in dünne Scheiben schneiden – auf diese Weise müssen sie nicht vorher extra angebraten werden. Anschließend in Salz einlegen, um die (bittere) Flüssigkeit zu entziehen. Alternativ können die Melanzani auch in dickere Scheiben geschnitten und vor der Beigabe zum Fleisch kurz angebraten oder im Ofen kurz gebacken werden.
  4. Zwiebel in sehr dünne Scheiben schneiden – diese werden roh mit den anderen Zutaten geschichtet, wodurch sie mehr von ihrem charakteristischen Eigengeschmack an die Speise abgeben.
  5. Butter schmelzen lassen und das Faschierte anbraten. Das Fleisch so lange anbraten, bis es durch ist und mit Salz und Pfeffer abschmecken.
  6. Die Auflaufform kann in der Zwischenzeit vorbereitet und eingefettet werden.
  7. Nun werden die Zutaten in der Reihenfolge Fleisch – Gewürze (Kreuzkümmel, Koriander, Zimt) – Melanzani und Zwiebel in der Form geschichtet. Das Prozedere bzw. Schichten so lange wiederholen, bis der Auflauf die Höhe von ca. 4 bis 5 Fingerbreiten erreicht.
  8. Essig-Salzwasser-Mischung vorbereiten (diese kann ruhig sauer sein!) und anschließend gleichmäßig über den Auflauf verteilen. Ein Teil der Flüssigkeit sollte aufgehoben und während des Backvorganges bei Bedarf über das Gericht gegossen werden. Auf diese Weise wird verhindert, dass die Speise zu trocken wird.
  9. Nach ca. 50 Minuten im Rohr kann das „Maghmuma“ serviert werden. (Achtung: Bei dickeren Melanzani-Scheiben sowie bei vorangegangenem Braten oder Backen der Melanzani kann die Backzeit divergieren.)
  1. Guten Appetit! 🙂
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Maghmuma – Das fertige Gericht

Als Alternative zum Hammelschwanzfett haben wir Butter verwendet – originalgetreue Nachahmer können natürlich auf das Fett des Tieres zurückgreifen. Wir haben das Gericht ohne den Verschluss des Auflaufs mithilfe eines Teiges zubereitet. Möchte jemand das Gericht mit dem Verschluss nachkochen, kann hier beispielsweise Nudelteig oder die Beigabe von Fladenbrot, Toastbrot, Zwieback (o.ä.) empfohlen werden. Dieses Brot muss dann vor dem Backen auf dem Auflauf platziert werden. Beim Backvorgang sollte in weiterer Folge darauf geachtet werden, dass das Maghmuma nicht anbrennt. (ggf. Hitze reduzieren!) Experimentierfreudige können statt gesalzenem Wasser auch die Beigabe von Sojasauce wagen.

Verwendete Literatur:

Friedl, Verena (2013): das púch von den chosten. Dynamische Edition des deutschen Jambonius von Cremona nach Cgm 415. Mit einem Glossar und Zutatenregister. Graz: Univ., MA-Arb.

Heine, Peter (1988): Kulinarische Studien. Untersuchungen zur Kochkunst im arabisch-islamischen Mittelalter. Mit Rezepten. Wiesbaden: Harrassowitz.

Heine, Peter (2017): Köstlicher Orient. Eine Geschichte der Esskultur. 2. Aufl. Berlin: Wagenbach.

Nasrallah, Nawall (2007): Annals of the Caliphs‘ Kitchen. Ibn Sayyar al-Warraq’s Tenth-Century Baghdadi Cookbook. English Translation with Introduction and Glossary. Leiden/Boston: Brill. (= Islamic History and Civilization 70).

Zaouali, Lilia (2009): Medieval Cuisine of the Islamic World. A Concise History with 174 Recipes. Translated by M.B. de Bevoise. Foreword by C. Perry. Berkely, Los Angeles, London: Univ. of California Press.

Zotter, Hans (1988): Das Buch vom gesunden Leben. Die Gesundheitstabellen des Ibn Butlan in der illustrierten deutschen Übertragung des Michael Herr. Nach der bei Hans Schott erschienen Ausgabe Straßburg 1533. Graz: ADEVA.

Autorin: Lisa Glänzer

Unter Mitwirkung von: Sabrina Deutscher, Lea-Sophie Planka, Ronja Sauer, Tanja Suppan, Jennifer Urban (Schülerinnen der 1.HL-Klasse der HLW Krieglach)

Eine Antwort zu „Maghmuma: Mittelalterliches „Moussaka“”.

  1. Wahnsinnig interessanter und so schön sorgfältig recherchierter Beitrag, wirklich ein tolles Fundstück in der Blogwelt. Ich lebe in Griechenland und ein Leben ohne Moussaka wäre nicht denkbar. Lieben Gruß aus Athen.

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